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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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in Latein eine Vier.
    – Eine Eins.
    – Ach so, Gesine. Ja dann.

31. März, 1968 Sonntag
    Auf dem anderen Ufer des Hudson war das Licht so klar, daß die Häuser scharf umrissen erschienen, näher, zu nahe. Sonst malt der Schmutz in der Luft dorthin eine neblige Gegend mit Bäumen, als hätte der Fluß verhindern können, daß es dort weitergeht wie New York.
    Wenn der Nachrichtensprecher der Station WQXR seine Arbeit ankündigt, verspricht er: The News - prepared and edited by the New York Times.
    Die Nachrichten, wie die Times sie vorbereitet und zurechtschneidet.
    Was für ein Gesicht machte Antonín Novotný, als sein Nachfolger gewählt wurde? Ein steinernes. Der Vladislavsaal im Hradschin, in dem die Neuwahl Ludvík Svobodas begangen wurde, wozu wurde er in früheren Zeiten benutzt? Für Zweikämpfe zu Pferde mit Lanzen. Wünschen Sie einen Eindruck vom Parteisekretär Dubček? Er zieht die Augenbrauen hoch in einer Art, die als immerwährendes Erstaunen erscheint, sieht beim Vorlesen über den oberen Rand seiner horngefaßten Brille und spricht monoton.
    Es ist alles da: Die polnische Regierung hat acht Fakultäten der warschauer Universität geschlossen. Die polnische Regierung sagt den Juden im Nazighetto einen Ring »Die Dreizehn« nach, der mit der Gestapo zusammengearbeitet habe. Die kölner Polizei hat einen kölner Polizisten verhaftet, Herrn Theo Lipps, wegen Beteiligung am Abschlachten von Juden in Südrußland. Die amerikanische Nation mißbilligt inzwischen zu 63 vom Hundert die Maßnahmen Präsident Johnsons in Viet Nam, wenn Dr. Gallup zu glauben ist. Ab heute kostet die Sonntagsausgabe der New York Times nicht mehr 35 Cent sondern 50, einen halben Dollar.
    Immer wieder kündigt sie an, daß sie am Abend eine Rede des Präsidenten Johnson übertragen wird, in der er sich über Frieden in Viet Nam und Südostasien äußern wird. Marie war nicht davon abzubringen, daß die Botschaft lauten muß: Der Krieg ist aus. Marie läßt sich nicht zu Bett schicken, bevor sie es gehört hat. Marie ist unzufrieden, daß die Cresspahls kein Fernsehgerät haben. Sie hätte es gern mit eigenen Augen gesehen, wie die Welt in Ordnung gebracht wird.
    Der Anfang ist nicht gut für Marie. - Guten Abend, meine Landsleute: sagt der alte Mann. Es ist ein Abend, an dem Marie auch so angeredet werden möchte, wenigstens dieses Mal.
    Die ersten Eindrücke setzen zusammen: Hier spricht ein bäuerlicher Mensch. Er benimmt sich ältlich. Ein wenig scheint er kränklich. Er tut unbeholfen, gelegentlich ist er dicht vor dem Stottern. Hier ist jemand hilflos, verlassen allein. Er versteht sein Geschäft nicht gut, kann auch beim Umblättern der Seiten Geräusch nicht vermeiden.
    Nach wenigen Minuten hat der Mann gesagt, daß er heute abend den Luft- und Seestreitkräften der Nation befohlen hat, die Bombardierung Nord-Viet Nams zum allergrößten Teil einzustellen. Warum nicht heute mittag?
    Für Marie kann nach solchem Anfang nur noch Ungeheures an Erfreulichkeit folgen. Inzwischen ahnt sie jedoch nicht mehr, was das sein könnte.
    Wenn die Regierung Nord-Viet Nams nun immer noch nicht verhandeln will, droht der alte Mann: Unsere gemeinsame Entschlossenheit ist unerschütterlich, unsere gemeinsame Stärke ist unbesieglich. Es hört sich weinerlich an.
    Entschlossenheit und Stärke sind nicht poetischer Art, sondern Soldaten und Gerät. Die Stimme des Präsidenten wird nun kräftiger. Jedoch atmet er beschwerlich.
    Er wird zu den 525 000 Soldaten in Viet Nam noch einmal 13 500 schicken, auch Artillerie, Panzer, Flugzeuge, Lazarette. Das kostet in diesem Haushaltsjahr 2 500 000 000 Dollar und im nächsten 2 600 000 000.
    Um den Wohlstand des amerikanischen Volkes zu schützen, die Stärke und Stabilität des amerikanischen Dollars zu schützen.
    Es wird de Rosny nicht freuen. Es freut Marie nicht.
    Wenn der Präsident ein Nachlassen seiner Lautstärke bemerkt, übertreibt er es und bringt den Lautsprecher zum Klirren. Sein leidender Ton weist die müßigen Zuhörer darauf hin, daß er arbeitet.
    Es sei seine inbrünstige Hoffnung, daß Nord-Viet Nam nun nicht mehr auf einem militärischen Sieg bestehe. Das klingt nach einer Bitte. Später weinerlich.
    Er möchte Frieden bauen auf dem Genfer Abkommen von 1954, von dem sein Bündnispartner Süd-Viet Nam weder den Vertrag über den Waffenstillstand noch die Verpflichtung zur Neutralität unterschrieben hat, geschweige denn eingehalten.
    Der Präsident spricht von seinen

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