Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
nicht gefragt werden, wieso ich dir schreibe; ich glaube ich soll aber nicht.
Gesine, Kind, was hast du angestellt? Hast du einen Brief an die Gemeinde Rande geschrieben? Was stand da drin? Bist du frech geworden? Du warst nicht ein freches Kind. Du wolltest das Kleid nicht ausziehen, wenn ich es dir heilnähen sollte, und wenn ich dich mal stach, hast du mich groß angesehen, schweigend. Den Blick weiß ich noch. Deine Kleider, Fetzen waren das. Du warst ein verträgliches Kind, groß für deine neun Jahre, mit einem immer verrutschten Hahnekamm auf dem Kopf. Bloß daß du mit Erwachsenen umgingst, als nützte ihnen das Ältersein nichts. Außer mit Cresspahl, und Cresspahls Tochter bist du ja geworden.
Cresspahl hab ich auch gekannt. Die Leute sagen, ich wär mit ihm in ein Bett gegangen. Er wollte nicht. So. Jetzt weißt du wer ich bin.
Wenn du einen Brief an die Bürgermeisterei in Rande geschrieben hast, dann mußten die Genossen schwer schlucken. Es heißt, du hättest nach Zahlen gefragt, und es wird wohl nicht das Gründungsjahr gewesen sein sondern etwas aus den Tausend Jahren von Jansen und Swantenius. Methfessel sagt es nicht. Methfessel hab ich als Kind gekannt, dies Kind mit seinen 35 Jahren, gibt einer alten Frau keine Antwort, läßt sie stehen! Methfessel und die Partei, das ist die Innung und die Partei, und er war doch der erste, der einen staatlichen Anteil nehmen mußte. Schettlicht ist Schullehrer in Rande, aus Meißen, den frag ich nicht. Kraczinski ist die Kreisleitung in Gneez, dahin geh ich nicht. So ist es mit den anderen auch, und was immer du eine Auskunft fragtest, es hat ihnen nicht geschmeckt. Sie haben es in der Parteisitzung auf der Tagesordnung gehabt.
Jawohl. Das war aber falsch, denn nun können sie nicht einem allein die Schuld geben, sondern alle zusammen haben dir geschrieben und unterschrieben. Methfessel nicht gern. Ist doch mit dir zur Schule gegangen. Diktiert ist der Brief von Schettlicht, er wollte den ländlichen Genossen wohl mal vorführen wie man das so in seinen Kreisen anstellt, Auge in Auge mit dem Klassenfeind.
Was war das, Gesine? Methfessel macht ein Gesicht, als hätten sie dich mit Stempel und Siegel für ein imperialistisches Kind erklärt, für eine Kriegstreiberin und was ihr da für Sachen macht in New York. Methfessel sagt: Nach solchem Brief käm ich nicht zurück nach Jerichow.
Sie wollen dich aber da haben. Du solltest nach Jerichow kommen Gesine! All die sechstausend Kilometer, und dann noch über die Grenze. So für zwei Tage. Und warum, das weiß ich. Das glaub ich nicht.
Haben sie gedacht: vielleicht läßt es sich beilegen. Gütlich, verstehst du. Gehen sie zu Kliefoth. Die Fangliste in der Post, verstehst. Ob er sich schreibt mit dir.
Das wissen Sie doch: sagt Kliefoth.
Was denn so drinsteht in deinen Briefen: sagen sie.
Das wissen Sie doch: sagt Kliefoth. Er soll es ihnen doch noch mal erzählen.
Kliefoth: Haben Sie einen Hausdurchsuchungsbefehl?
Sie können ihm nicht viel, weißt du. Mit 82 Jahren. Und er steht sich gut mit Professoren in England. Birmingham, glaub ich.
Ob er wohl in einer heiklen Sache behilflich sein würde. Kliefoth: Ich bin ein alter Mann, ich schreib nur noch Persönliches; kannst dir denken.
Kliefoth spricht von dir, als wär er mit dir von gleich zu gleich befreundet, und als wär ihm das sehr recht. Wußtest du das?
Zu mir sind sie auch gekommen. Das Gerücht von Cresspahl in meinem Bett, verstehst. Entschuldige; und es ist in der Tat unwahr. Ob ich mich schreibe mit dir.
Vielleicht glauben sie da von einem in der Post, er vergißt die Fangliste bei Gelegenheit.
Daß wir uns nicht schreiben, sie konnten es nicht fassen, und wollen auch nicht. Denn nun haben sie Keinen, der dir schreiben kann du sollst den Brief vergessen und sie machen dir einen anderen ganz wie neu!
Nicht einmal deine Adresse hatt ich. Kliefoth will dich erst um Erlaubnis fragen, ob ich wissen darf, wo du wohnst in New York. Emmy Creutz, bei der waren sie auch gewesen, dachte sich wohl was ganz Gefährliches. Ist doch eine kleine Stadt.
Gesine, du glaubst es nicht. Der Ziegeleiweg soll umbenannt werden. In Cresspahlweg. Und an euer Haus soll eine Tafel, Bronze, und der Kindergarten, den sie darin untergebracht haben, der soll Heinrich-Cresspahl-Kindergarten heißen.
In deinen Zeitungen steht wohl nicht, wie es hier zugeht. Es geht so zu, daß die Sowjetunion ihren Richard Sorge ausgegraben hat. Solche heißen aber nicht Spione,
Weitere Kostenlose Bücher