Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
innig mit dem Tausalz verbunden, in die Kabelschächte, schloß die Leitungen kurz und brachte Gas zum Explodieren. Das war das Geräusch, das die Schachtdeckel machten: Pop.
Und ob du es wissen willst, oder nicht, sie bemerkt dir doch, daß du gestern abend gefehlt hast unter den fünfzehnhundert in der Stadthalle, die sich gegen die Einziehung zum Kriegsdienst zusammentun wollen. Du hättest dich einschreiben können in die Schriftrolle mit Namen wie Adresse und versprechen, Wehrunwilligen Rat, Hilfe und Vorschub zu leisten. Wenn du es nachholen willst, du findest die Gruppe in der 4. Straße West, Hausnummer 224. Wird Annie es tun? Wirst du es tun?
Du wolltest doch immer wissen, was für einen Lebenslauf der neue Arzt deines Kindes hat, wer das eigentlich ist, der Marie den Mund ausleuchtet, ihre Atemgeräusche abhorcht, sie nach ihren Schlafgewohnheiten ausfragt in einem behäbigen Amerikanisch, einem behenden Deutsch mit polnischem Akzent. Wer ist das, dieser würdige Herr in den sechziger Jahren, im Rücken alterssteif bis zur Leibesmitte, was steckt hinter dem gutmütigen, ein wenig tauben Ausdruck in dem vollen Gesicht. Willst du es wirklich wissen? gib dich doch zufrieden mit den lateinischen Diplomen an der Wand, solange Marie ihm traut.
– Das linke ist aus Bratislava, das rechte aus Warschau. Das in der Mitte aus Deutschland: sagt der alte Herr mit etwas angestrengter Höflichkeit. Du hättest nicht so zu den gediegenen Rahmungen hinübersehen sollen, als wolltest du etwas wissen. Jetzt wirst du nicht herumkommen um das Antrittsgespräch, um die Förmlichkeiten des ersten Besuchs. - Ist nicht Cresspahl ein deutscher Name? sagt er, halb vom Schreibtisch abgewandt, schrägen Kopfes, sehr aufmerksam. Das unbewegte, glatte Gesicht, die dünnen grauen Haare in zwei Schwaden über die Ohren gekämmt, wir würden es nicht erkennen, hätten wir nicht gesehen, wie umsichtig er mit einem Kind umgeht und spricht, um ja nur keines zu erschrecken.
Cresspahl ist ein deutscher Name, Dr. Rydz.
– Deutschland war gjud zu leben, damals, Frau Cresspahl.
Damals war 1931. Deutschland war Berlin, als er an der Charité arbeitete und »in dem Krankenhaus an der Reinickendorfer Straße«. Er wohnte am Friedrich Wilhelm-Platz in Friedenau. Mit der Straßenbahn 177 zum Bahnhof Zoo. Wie sah das damals aus?
Der Friedrich Wilhelm-Platz in Friedenau, Mrs. Cresspahl, was a charming place to live, at that time. Wenn man zwei Zimmer hatte auf der Westseite, die morgens ganz trocken waren von der Sonne und abends dick beatmet von dem üppigen Laub vor den Fenstern. Friedenau war gut für Spaziergänge, die kleinen Straßen mit den alten Landhäusern, den bürgerlichen Mietbauten, den fülligen Bäumen. Niedstraße, Schmargendorfer Straße. Und die Blütenwolken der Kastanien, dicht an dicht in der Handjery. Da muß ein Stadtrat eine Sucht nach Kastanien ausgelebt haben.
Die Bürger zivil, gesellig in dem Biergarten an der Post, zuvorkommend, sogar gegen Ausländer. Ein schönes Jahr, Mrs. Cresspahl. Abends kam man zurück an den stillen, parkähnlichen Platz wie nach Hause. Die Straßenbahnen waren Kästen, häßlich, derb, tüchtig. Kennen Sie Berlin, Mrs. Cresspahl?
Freunde schreiben uns aus Friedenau, daß eine Untergrundbahn durch den Platz gebaut wird.
– Ist es nicht schade um die Kirche! sagt Dr. Rydz. Er hat seine Schreibsachen weggelegt, ist ganz den Besuchern zugekehrt, spricht lebhaft, mit behaglich verschränkten Fingern. Die Kirche war ein Weniges zu klein für den Platz, so daß sie etwas verwachsen dastand, ein kleines Monster aus rotem Backstein. Häßlich, derb, tüchtig, eine Schöpfung der Kaiserin, die alle drei Monate ihrem Gotte eine neue Stätte einweihte. Er wird doch auf den Namen kommen: Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. Doflein hieß der Architekt.
Die Kirche soll leider stehenbleiben, Dr. Rydz.
Es erleichtert ihn doch. Wenigstens ein Stück der Vergangenheit heil. Zwischen Berlin und anderen Hauptstädten Europas, es war damals nicht leicht wählen. Reisen nach Paris, nach Wien, nach Prag, und doch keine Rückkehr mit Seufzen nach Friedenau, an die Kirche zum Guten Hirten, von der es muffig hinüberschlug wegen des nächtlichen Lebens von Dr. med. Felix J. Rydz, zu Frau Rabenmeister, who, as a landlady, was –
Dufte, Dr. Rydz?
Knorke, Mrs. Cresspahl. Das war das Wort von damals. Bon gelebt also. Wer dann zurückging in eine kleine, wenn auch wohlhabende
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