Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
weitergeschaltet. Am Hanseatischen Oberlandesgericht zu Hamburg hingegen wurde die Sache als Lappalie abgetan, und beim O. L. G. Rostock mochte er nicht fragen.
Wegerecht, mecklenburgischer Rundkopf, Rasurglatze, pyknisch veranlagt, war erst spät Mitglied der Staatspartei geworden, fast zu spät, und eher pflichtgemäß. Er kam von der D. N. V. P., er hatte die Deutsche Tageszeitung mit mehr Appetit gelesen als den Mecklenburgischen Beobachter, er hätte die Erneuerung des kaiserlichen (auch des großherzoglichen) Hauses vorgezogen, und ihm war nicht recht, was er aus der Armee über die Geländegewinne der Hitlerei hörte. Was er noch vom Programm der alten Partei mitgebracht hatte, war eine Abneigung gegen die Juden in Berlin, volkswirtschaftlich begründet, nicht gegen einen Juden, der im Weltkrieg auf der Seite Deutschlands gekämpft hatte, Hausbesitzer in Jerichow war und gut mecklenburgisch Platt sprach. Dem wollte er nur einen Denkzettel verpassen, damit er zu guter Letzt begriff und sich aus dem Lande schaffte. Das wäre dann die vaterländische Tat gewesen, die befördernswerte. Das wollte auch Kraczinski als Nebenergebnis gelten lassen, der Staatsanwalt. Sonst aber stellte Kraczinski sich an, als könne er in diesem einen Prozeß sieben weitere schlüpfen lassen, einen wahren Komplex »Jerichow«. Obendrein ging er allen Ernstes gegen Griem mit; Wegerecht war da nicht sicher. In den Reichsarbeitsdienst war so schwer hineinzublicken. Das war ja wie nachts im Wald, wo hinter jedem Baum einer stehen konnte mit einer Keule. Am sichersten wußte Wegerecht, daß er mit fliegenden Fahnen aus dieser Sache herauskommen mußte, damit ihm die Einstellung im Fall Zentner vergessen wurde (Dr. Ing. Zentner, Industriekaufmann, auf Durchreise mit einem scharfen Hund, irrtümlich als Jude belästigt, trotz Zentners Hinweis auf die Gefährlichkeit des Tiers; gegen S. A., die Schmerzensgeld für ihre Wunden gefordert hatte). Hoch zu Roß mußte er rauskommen, und mit einem Fehltritt schon konnte er sich den Hals brechen.
Walther Wegerecht wußte wohl, daß seine Frau, die Irmgard geborene von Oertzen, ihn weniger darauf ansah, was er war, als auf das, was er für sie bedeutete. Seine gute Laune bedeutete, daß das Geld am Dreißigsten auf der Bank eingehen würde; seine Sorgen galten ihr als unverantwortlich, als Gefährdung des Hausstands. Die konnte er mit ihr nicht besprechen; in solchen Zeiten sah er wenig von Irmi, und sie rechnete ihm nicht einmal an, daß er sich blind stellte gegen Herrenbesuche aus der Garnison, die dann zunahmen. Sie wollte ihn unabhängig, geschickt, siegessicher; nur so konnte er sie sich sicher glauben. Mit ihr die Kinder, und Wegerecht war ein Schmusevater. Er ließ sich den Schädel nicht wegen einer Wette rasieren, sondern weil die Vierjährige, der Spätling, ihr Vergnügen daran hatte, den dichten Stachelteppich in der Handfläche zu spüren. Er war nicht gesund. Wegen seiner frischen Farbe galt er für »das blühende Leben«; er wollte sich über Unlust, ja geradezu unverträgliche Anwandlungen nicht wundern, solange er bis in die Nacht zu sitzen hatte; sein Arzt sprach mit ihm beim Freitagsskat im Hotel Stadt Hamburg, und nicht über essentielle Hypertonie. Er träumte gelegentlich von Fahren im Auto bei geschlossenen Fenstern, dabei wurde die Luft knapp, und er war zu schwach, die Kurbeln zu bewegen; manchmal war ihm am hellichten Tag wie in dem Traum. Mit solchen Einbildungen mochte er nicht in die Sprechstunde. Wenn es untunlich war, Griem anzugehen, kam Irmgard nie zurück nach Schwerin, oder ohne ihn. Wenn er etwas gegen Papenbrock anfing, verlor Irmi eine Menge Umgang aus dem jerichower Winkel, und was die gneezer Sachen anging, so würden sie ihn dann gehörig im dunkeln tappen lassen. Wenn es nur um eine Verwarnung für Warning/Hagemeister ging, hätte er den Fall eher einstellen sollen, und den Leuten würde wieder auffallen, was er eigentlich für einen Namen an sich hatte. Und dann immer noch nicht war das Ärgernis des Juden in Jerichow beseitigt. Und Irmgard würde ihn nicht liegen lassen, da half kein Attest.
Er wußte, daß er sich gehen ließ, und meldete einen Besuch bei Ramdohr an. Ihm war nicht gleich behaglich gewesen, daß er aufgerückt war, als Ramdohr wegen seiner sozialdemokratischen Freunde den Richterstand verlassen mußte; er hatte nun vier Jahre lang Arbeitslast vorgeschützt. Ramdohr, nun nicht mehr Rat, kam ihm an die Tür entgegen, führte ihn in
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