Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
und hätte seinen Ministerialdirektor unmerklich ans Telefon gedrängt, und womöglich den Vorgesetzten über ihm mit der Ehre der deutschen Landwirtschaft, damit wenigstens in der Nähe der angeheirateten Verwandtschaft da oben an der Ostsee ein Nazi aufs Dach kriegte, bis Peter aufging, daß die Anzeige erstattet war von einem Papenbrock, und daß er Schwager wie Schwägerin Cresspahl nicht die Freude bereitete, die er sich vorgestellt hatte, und nun die Weisung nach Schwerin umdrehen lassen mußte, und das zwischen Ministerien unterschiedlichen Fachs, und dann nicht nur von sich eine Verwarnung einsteckte, sondern auch von Freunden, die ihn bei gelungenem Anschlag belobigt hätten und mit mehr Vertrauen versehen -
– Ja: sagt Marie. - Ja: wiederholt sie, ganz tief und genußvoll in der Kehle, so überzeugt ist sie. - Das glaube ich sofort.
18. Januar, 1968 Donnerstag
Im Gesicht läßt die New York Times nichts sich anmerken. Unbestechlich und gelenkig hält sie uns Vortrag über Heilversuche am britischen Pfund, die Golddeckung des Dollar und übrigens den guten Willen der Kirchen zu Gunsten der Neger, in welch selbem Henry Ford II . nicht übertroffen werden will. In eigenhändiger Mitschrift, ungeschwächt von der Nachtarbeit, bringt die verläßliche Tante die Rede Präsident Johnsons über die Lage der Nation (»auf der Suche, im Aufbau, oftmals geprüft im vergangenen Jahr, jeder Prüfung gewachsen«); sie unterschlägt nicht, daß Prinz Sihanouk von Kambodscha die Nation wegen eines Wortbruchs verachtet, den sie obendrein als »zynisch« zitiert. Sie hat bei sich das Neueste vom Mafia-Skandal in den Städtischen Wasserwerken, über ertappte Steuerbeamte, geklaute Kreditkarten, die Rauschgiftrazzia in der Universität Stony Brook; gleichsam tröstend weist sie uns darauf hin, daß Pavel Litwinow in Moskau, wenn er schon mit der sozialistischen Gesetzlichkeit nicht glücklich ist, dann auch nicht als Physiker arbeiten darf. Alles auf der ersten Seite, als fehlte nichts. Solche redlichen Runzeln.
Hätten wir doch lediglich davon die Fortsetzungen gelesen, und nicht den neuen Anfang, den sie auf Seite 28 versteckt! Solch würdige Greisin, und läßt sich betreffen in so genierlichen Umständen! Sollte sie dergleichen von anderen berichten, sie wäre verlegen. Sie zeigt jedoch sich selbst. Es ist … es ist vertraulich.
Der Anfang, wenn nicht harmlos, er ist nicht überraschend. Gestern nachmittag hat wiederum ein Untersuchungsausschuß des Bundes, befaßt mit der Lage der schwarzen und puertorikanischen Angestellten, am Foley Square getagt und den Nachrichtenmedien vorgeworfen, sie gäben ein falsches Bild jener Minoritäten: so ohne Zeichen des Zweifels oder der Anführung in der Überschrift der Times; und es wird doch unsere erprobte Lieferantin von Wirklichkeit über solchen Verdacht erhaben sein.
Der Ausschuß findet, die Kommunikationsindustrie verschaffe den Amerikanern ein falsches Bild der Gesellschaft, in der sie leben, und obendrein den Negern und Puertorikanern ein verzerrtes Bild von sich selbst. Gewiß. Aber doch nicht die New York Times; wetten?
Na klar. Diese Industrie hat einen ungeheuren Einfluß in der Nation, und ihre Besitzer sind es, die in weniger als gar keiner Zeit ein Klima für einen erheblichen Wandel in der Sozialstruktur herstellen können. Ohne Frage ist die New York Times dazu imstande. Wenn da welche sich um die Verantwortung gedrückt haben, unsere gute alte Tante, gerecht, hilfsbereit, die ethische Gallionsfigur, sie wird zu den Schuldigen nicht gehören. Sie weiß, was es bedeutet, zu den Machern von Meinung und Geschmack in dieser »schweren Periode unserer Nationalgeschichte« zu gehören; sie wird ihre Pflicht tun. Und gleich nennt sie uns die Prozentzahlen jener Minoritäten in der Stadt New York (für die Neger 18, für die Puertorikaner 10 Prozent), damit wir wohlversehen ans Werk gehen können.
Die Konkurrenz, die kleinere Konkurrenz, die New York Post; na ja. Kaustisch, nichts weniger als das, habe der Ausschuß sich da vernehmen lassen: sagt die New York Times uns weiter auf eine süß und saure Weise. 450 Angestellte, und nur 24 Neger oder Puertorikaner darunter. 5,3 Prozent. Ts-Ts. Ob es denn der New York Post, einem liberalen Blatt im Grunde, etwas ausmache, daß es in der Presse von New York faktisch eine Rassentrennung gebe: habe der Ausschuß fragen müssen. Und die Post wußte darauf nur etwas Schnippisches, typisch: Jede Art von Rassentrennung
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