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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Mittagstisch, meine eingeschlossen, und sprach von Mariengabe.
    Er finde den Namen angemessen. Wo Einer gebe, sei Einer nicht gegen das Nehmen. Wasser sei härter als Stein, und was aus großer Höhe in die Ostsee stürze, nähme er dann nicht mehr geschenkt. Er habe auch in England Flugzeuge gesehen. Lisbeth sei sogar in einem englischen Flugzeug in der Luft gewesen. Das könne sie doch nicht abstreiten. Jerichow sei ja bisher nicht berühmt, außer für Friedrich Jansen, und das werde sich gewißlich ändern mit den Bomben, die die Engländer hier doch zuerst abladen würden. Das sei ja fast eine Verabredung mit den Engländern.
    Heinrich du rædst uns dot! Heinrich, das Kind! Heinrich Cresspahl!
    Mein Vater sprach nicht von Bomben, sondern von »Schiet avlådn«, und was immer er vor sich hin sprach wie jeweils unerwartete Einfälle, geruhsam, nahezu behaglich, alles fand nicht den geraden Weg zu Friedrich Jansen und seinem feinledernen Notizbuch, sondern ging erst einmal in das nächste Haus und über die Höfe und in die Gärten und auf die Felder, und erst wenn Jerichow versorgt war, kam Friedrich Jansen an die Reihe. Der Parteigenosse Jansen lieferte das wortwörtlich ab bei der Gestapo in Gneez. Das war ein fehlerhaftes Verfahren. Denn er bekam auf seine Bürgermeisterei ein streng amtliches Schreiben von einem hamburger Luftwaffenamt, mit Hoheitszeichen und Siegel, das ihm von seinen Quengeleien abriet. Mit der Einschließung seines eigenen Namens habe er verraten, daß er da private Brötchen backe, und die deutsche Luftwaffe sehe sich nicht in der Lage, ihm die Butter daraufzustreichen. Im übrigen sei es erwiesen, daß Wasser ein fallendes Flugzeug härter abfange als Land, und schließlich dürfe sich nicht einmal eine im politischen Leben stehende Person im Range eines Kreisleiters erdreisten, der Luftwaffenführung eine Unterschätzung des potentiellen Gegners zu unterstellen. Was nun das Grundsätzliche betreffe, so herrsche in den betroffenen Kreisen der Luftwaffe eine Überzeugung vor, wonach so mancher Handwerker mehr und wirksamere Arbeit für den Ausbau der deutschen Luftverteidigung leiste als Beschäftigte in den Reihen von Verwaltung und Partei. Heil Hitler! Und Friedrich Jansen saß da und mußte stillhalten, wenn ihm nun auch noch dargestellt wurde, wie dieser Cresspahl den Kopf schüttle bei seinen Reden. Als ob er Wasser in den Ohren hätte. Und wenn doch immer Einer sich für eine Weile an Friedrich Jansens Stammtisch setzte, so um ihn mit Cresspahls Anregungen munter zu halten, und zum anderen, weil es doch ärgerlich war, daß dieser Cresspahl so selbstverständlich vom Kriege sprach, als könne es nicht doch ohne einen abgehen. Was der Mann da tat, es hatte ja geradezu etwas Spaßverderberisches. Hatte es doch.
     
    – Mariengabe: sagt Marie, ärgerlich versonnen. - Ich hoffe, die Engländer haben dort ordentlich abgeladen. ’t would suit me fine.
    – Versógelicke, Marie.
     
    Was haben wir für eine Zeitung in dieser Stadt! Sogar uns kennt sie als ihre Kunden und ermahnt die Ausländer vorsorglich, der Bundesregierung im Januar die Adresse zu melden.
    Und Marie macht sich noch am späten Nachmittag auf den Weg, die Formulare für die Registrierung von unserem Postamt in der 105. Straße zu holen. Daß wir aus dem Lande gewiesen würden, was wäre denn das!

243 Riverside Drive, New York, N. Y. 10025
December 23, 1967
    Lieber Herr Dr. Kliefoth,
    ich bedanke mich für die freundliche Erkundigung nach meinem Kind und stelle es Ihnen ein wenig vor. Diese Marie ist zehneinhalb Jahre alt und reckt sich zu vier Fuß elf Zoll. Unter Altersgenossen gilt sie als groß. Neuere Fotos von ihr habe ich nicht; auf älteren wollte sie in der Regel ein Bild von sich machen. Sie versteht sich also als jemand, der die Leute hinter den Kameras auf eine neugierige, gleichzeitig fürsorgliche Weise betrachtet. Ein Paßbeamter würde ihre Kopfform als länglich/oval notieren, aber so lang wie ein Ei ist sie nicht, und wirklich hat sie im Profil etwas Kugelköpfiges. Mit dem Winter werden ihre Haare nahezu sandfarben, insbesondere die Brauen. Die Augen grau und grün, nach dem Licht. Klar. Lange gespreizte Wimpern, nicht von mir. Ich sehe in ihrem Gesicht den Vater (den Sie ja nicht kannten); meine Freunde sehen darin mich. Wohl finde ich Mecklenburgisches, Ironie in Schiefhalsigkeit, durch Kopfsenken verkanteten Blick, steinerne Versteckmiene, überhaupt das Anschlägige, das Schabernacksche. Das alles

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