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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ein Kind mit Holzstücken Schifffahrt treiben konnte oder sich die Füße kühlen. Die Wirtschaft war nicht pingelig; aus dem neuen Fenster über dem hinteren Eingang wurde eine Scheibe wieder herausgenommen, damit die Schwalben wie gewohnt in den Flur fliegen und ihr Nest an ihrem angestammten Balken bauen konnten. Während ihrer Zeit wurden die roten Fliesen dann einmal öfter gescheuert, weil sie den untergelegten Lübecker General-Anzeiger eben nicht immer trafen. Von solcher Art war auch das Wasserfaß, das die vorigen Besitzer, die Pinnows, am Küchenfenster unter einem Rohr von der Dachrinne aufgestellt hatten. Cresspahl ließ das stehen. Es wäre wohl auch zu Bruch gegangen, hätte er es bewegt. Eben weil es undicht war, war es immer dicht umwachsen von fettem langem Gras, saftig blühendem Unkraut. Ich mochte das gern sehen. Weil aber das Regenwasser vom Dach den Schmutz von Moos und Windstaub mitbrachte, wurde es kaum je zum Waschen genommen, und der Deckel wurde kaum je abgehoben. Der Deckel aber war neu, den hatte Cresspahl gemacht, damit ich nicht einen Küchenschemel anschleppte und darauf ins Wasser stieg.
    – Wenn er fehlte, konnte das ein Versehen sein.
    – Von einem Fremden, ja. Wer aber zum Haus gehörte, wußte das mit der Katze und mir. Es war ein großes graues Biest, massig und faul. Als Cresspahl die Pinnowsche Scheune zur Werkstatt umbaute und in der Futterkammer bei seinem Werkzeug schlief, hatte diese Katze ihn besucht und war bei ihm geblieben. Lisbeth und das Kind wohnten da noch in Papenbrocks Haus, und als sie nun kamen, pochte die Katze auf ihre älteren Rechte. Sie mochte mich nicht. Ich wollte sie zum Spielen überreden; sie aber lag lieber innen am Küchenfenster und besah sich die Vögel. Sie war auch alt, nicht bloß träge. Das Kind stand oft da draußen, hatte den Kopf im Nacken, sah zur Katze hinauf und redete mit ihr, und die Katze sah mich an, als wüßte sie ein Geheimnis und würde es mir doch nicht sagen.
    – Fahrlässigkeit. Deine Mutter konnte dich doch nicht an die Schürze binden, und das weiß ich von den Vierjährigen, sie verschwinden wie die Kaninchen.
    – Siehst du.
    – Du mußt doch noch erst hochsteigen auf den Deckel zum Kopf der Katze und ins Wasser fallen, Gesine!
    – Wie du sagst.
    – Und deine Mutter, deine Mutter stand dabei?
    – Ja. Nein. Wenn ich daran vorbeidenke, sehe ich sie. Sie steht dann vor der Hintertür, trocknet ihre Hände in der Schürze, wringt ihre Hände, eins kann das andere sein. Sie sieht mir zu wie ein Erwachsener sich an einem Kinderstreich erheitert und wartet wie er ausgeht; sie sieht mir ernsthaft zu, belobigend, als vertraute sie darauf, daß ich es richtig mache. Wenn ich die Erinnerung will, kann ich sie nicht sehen.
    – Und sie rührte sich nicht.
    – Da war ich längst unter Wasser. Ich hatte immer noch ihr Bild bei mir; erst dann fiel mir auf, daß in dem runden Tonnenschacht nur der Himmel zu sehen war.
    – Dann zog sie dich raus.
    – Dann zog Cresspahl mich raus. Er war hinter ihr um die Hausecke gekommen und hatte ihr beim Zusehen zugesehen. Er hat es mir nach dem Krieg nicht genau erzählen mögen, nur daß sie stehen blieb »wie erstarrt« als er mich triefendes Bündel an ihr vorbei ins Haus trug.
    – Cresspahl und einem Kind nasse Sachen ausziehen, es waschen, es abtrocknen, es anziehen, das sehe ich nicht.
    – Das tat sie, dazu hatte er sie geholt. Und als ich ein neues Kleid anhatte und munter genug, um das Untertauchen zu vergessen -
    – Hat er sie geschlagen.
    – Nie. Er ließ sie nun zusehen, wie er mich verhaute. Er gab sich nicht viel Mühe, leicht zuzuschlagen; ich sollte mir die Regentonne merken ein für alle Male. Nur so konnte er mich vor Lisbeth schützen.
    – Und sie hat ihm die Hand nicht festgehalten?
    – Ach was. Nun hatte sie ihrem Gott auch noch das ungerechte Leiden ihres Kindes anzubieten.
    – Hast du mich mal geschlagen?
    – Nein. Und ich fand an den Schlägen nicht die Ungerechtigkeit schrecklich, sondern daß mein Vater böse mit mir war. Darum suchte ich das ganze Mittagessen lang nach irgend etwas, mit dem ich eine Versöhnung anfangen konnte, und zwar unter dem Tisch, so daß ich vor seinen Blicken sicher war. Da sah ich, wie die Katze von einem Gang vors Haus zurückkam und unter Cresspahls Stuhl schritt und sich über seinen Fuß und Holzpantoffel legte. Und ich sagte: Vadding de Katt! Und er sagte: Dor kann se ruich sittn gån. Und sah mich an, als wundere er sich mit

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