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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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mir gemeinsam über die Katze und sei mit mir zusammen wie sonst.
    – Sie hat dich umbringen wollen!
    – Sie hat mich abgeben wollen, Marie.
    – Sie muß dich gehaßt haben.
    – Es hätte ja nicht lange gedauert, das Ertrinken.
    – Aber sie wollte dich los sein!
    – »Wer sein Kind liebt«, Marie, der … Sie hätte das Kind sicher gewußt, fern von Schuld und Schuldigwerden. Und sie hätte von allen Opfern das größte gebracht.
    – Du willst sagen, sie liebte dich.
    – Das will ich sagen.
    – Das nächste Mal, Gesine, wenn du mir eine Geschichte nicht erzählen willst, tu es nicht.
    – Jetzt mißtraust du mir.
    – Nein. Du bist doch deines Vaters Tochter?
    – Ja, Marie. Ich bin Vaters Tochter.
    Lisbeth ick schlå di dot.
    Schlå mi dot Hinrich. Mi is kein Helpn mihr.

20. Januar, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry
    Was soll das, Gesine. Was das soll!
    »Nüchs«, um zu reden wie Grete Selenbinder.
    Wenn sie nicht recht ran wollte.
    Wie ich.
    Aber Tschechisch lernst du.
    Československo je také velmi krásné.
    Nicht für eine Ferienreise, sondern im Auftrag der Bank. Jeden Donnerstag hast du zwei Stunden eher frei, und bezahlt wird Herr Kreslil auch von der Bank.
    Das weiß er nicht.
    Wie Niemand etwas wissen soll. Wo willst du damit hin?
    Nirgends. Es wird nichts werden. Sie haben noch nie eine Frau in dem Stockwerk arbeiten lassen, wo der Fußboden aus Holz ist, fast echte Teppiche ausgelegt sind und fast echte Bilder an den Wänden hängen. Als Putzfrau, gewiß.
    Und dennoch kannst du den 4. Fünfjahrplan der Č. S. S. R. bald auswendig.
    De Rosny hat sich etwas in seinen großen Kopf gesetzt. Er meint ernstlich, die Mücke sei ihm von der Státní Banka Československá geschickt.
    Du tust etwas, und glaubst nicht daran.
    Genügt es nicht, daß ich für die Bank arbeite? Muß ich für sie auch noch empfinden?
    Die Angestellte Cresspahl hat eine Anregung bekommen. Eine störrische Angestellte wäre vorgemerkt für die nächste Kürzung der Personalkosten. So?
    So. Und wenn die Tschechen und Slowaken dann doch nicht ihren Sozialismus mit de Rosnys Krediten reparieren dürfen, darf die Angestellte Cresspahl doch in der Abteilung Foreign Sales sitzen bleiben, und der Vizepräsident schreibt eine Investition ab.
    Du als eine Investition.
    Als ein Stück Arbeitskraft, das vorsorglich für eine andere Maschine umgebaut wird. Nur damit die Bank sich später nicht Saumseligkeit vorwerfen muß.
    Für de Rosny ist die Angestellte Cresspahl eine Person.
    Er behandelt mich wie eine. Er putzt und ölt das Teil Maschine. Das Persönliche daran ist, daß de Rosny in seinem Jahresbericht an die Aktionäre schreiben kann: Er habe sich um Verbindungen in osteuropäischen Ländern bemüht. Das schlägt ihm auch zu Buch ohne Ergebnis.
    Nimm einmal an, du kommst tatsächlich auf die Teppiche dort oben, unter die jungen Herren in der feierlichen Kleidung, und hättest wie sie so eine rothölzerne Kommode zu verwalten, über die die Geschäfte mit einem ganzen Land gehen. Vielleicht lassen die Kollegen dich überleben, und wär es, weil sie auf dich nicht neidisch sein könnten um eine Mission: Impossible.
    Eine Frau als Direktor in einer Bank. Das Kalb mit den sieben Köpfen. Das wär ja geradezu etwas für die New York Times.
    Laß das jetzt, Gesine. De Rosny glaubt, was du der Bank an Loyalität vorspielst; er hält für einen Glücksfall, daß du wirklich in einem osteuropäischen Land gelebt hast -
    Dreieinhalb Jahre in der Deutschen Demokratischen Republik. Als ein halbes Kind.
    Laß das jetzt, Gesine. Das Tschechische, und was du dir an Nationalökonomie von der Columbia-Universität gekauft hast -
    Euch zu Gefallen. Ich nehm das einmal an, weather conditions providing.
    Das Wetter sieht danach aus.
    Daß die K. P. Č. in der Tat sich selbst »demokratisieren und humanisieren« will? Die Worte kenn ich. Reichlich abgetragene Schuhe.
    Warum sollten sie dann den neuen Chef nicht verstecken in einem Gerücht (ein Mümmelgreis über siebzig, der sich opfern will), sondern ihn in allen Zeitungen des Landes zeigen, Alexander Dubček, 46 Jahre, mit vollständiger Biographie?
    Es sieht neu aus.
    Und daß sie das Gesetz über den Wohnungsbau nicht verabschiedet haben und einmal selbst eingestanden, daß sie es falsch gemacht haben?
    Gewiß. Und die Dezentralisierung der ökonomischen Entscheidungen. Die Rentabilitätsdiskussion. Daß mit zu niedrigen Mieten nicht die Erhaltung der Häuser bezahlt werden

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