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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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kann.
    Siehst du, Gesine. Und der Lebenslauf der Familie Petschek im Staatlichen Fernsehen der Č. S. S. R.
    Das geht zu weit. Die Rockefellers der Tschechoslowakei, sie wurden doch als Unterdrücker dargestellt.
    Ja, und mit Hochachtung, Gesine. Mit Bewunderung: nie seien sie bei einem Börsenkrach reingefallen. Und als das Jahr 1938 kam und Hitler in die Tschechoslowakei, hatten die Petscheks die meisten ihrer Bergwerke verkauft und sich aus ihren Banken herausgezogen und übersiedelten in die U. S. A. Glaubst du, daß diese Regierung Dubček nicht ein Auge auf ihr eigenes Fernsehen hält?
    Und läßt ein Beispiel zu für die List der Kapitalisten.
    Nein, Gesine. Ein Stück Wahrheit. Und als ob man von denen lernen könnte.
    Ich hab das nicht gesehen.
    Aber du weißt, daß sie sogar die Häuser gezeigt haben, die den Petscheks gehörten. Die heutigen Botschaften der Sowjets, der Chinesen, der U. S. A. Die Petschekbank, die zum Hauptquartier der Deutschen Gestapo wurde, und dann zum Außenhandelsministerium. Da wurde ein Stück verschütteter Nationalgeschichte freigelegt, etwas gezeigt, wie es war.
    Das ist mir zu hoch. Und das Nächste wäre dann, daß Češi a Slováci jsou bratři. Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit.
    Fang doch mal bei einem an.
    O. K. Sie bekämen ihre Wirtschaft mit ausländischen Krediten schneller heil, auch gründlicher.
    Dafür würdest du arbeiten.
    Wenn der Sozialismus belassen, oder eingeführt wird.
    Das als Arbeit, du wärst nicht nur angestellt zu ihr, sondern auch selbst dabei.
    Ja. Und nun reicht es.
    Nein Gesine. Da ist noch etwas. Da kommt Marie vom Autodeck nach oben gestiegen. Není to pěkné dítě?
    Ano, je vskutku velmi pěkné.
    Wenn die brüderlich vereinten Tschechen und Slowaken es also wollen, und zwar von de Rosny, wo würde er sein Büro hinstellen, und wohin müßte seine Bevollmächtigte umziehen?
    Daran habe ich nicht gedacht.
    Wenn du uns nicht hättest, Gesine.
    Die Bank hat eine Filiale in London.
    Und eine in Frankfurt am Main. Was ist näher an Prag?
    Nicht Frankfurt. Nicht noch einmal.
    Du bist gar nicht gefragt, Gesine. Gibt es eine South Ferry in London? Wo ist der frankfurter Hafen, in dem Fähren spazieren fahren?
    Marie.
    Die Angestellte Cresspahl reist dienstlich nach Prag, und Marie führt ein Leben im Hotel Alcron.
    Das kann sie nicht.
    Und doch müßte sie mitkommen, und würde mitgehen.
    Drei Jahre würde sie verlieren, ehe sie gelernt hat, wo anders zu leben als in New York.
    Und du möchtest nicht die Wunden sehen, die sie sich zuziehen wird.
    Nein.
    Siehst du, Gesine. Und nun sag noch einmal, was das soll.
    Die New York Times, die sittenstrenge Tante, will es der Eartha Kitt doch nicht hingehen lassen, daß sie Mrs. Johnson eine Antwort gegeben hat. Die Times spricht von einem »rüden Auftritt«. Und wie sehr es für die Gattin des Präsidenten spreche, daß sie aufrichtig geantwortet habe, sie verstehe nicht die Dinge und das Leben, die Miss Kitt verstehe. Und daß man davon lernen könne. Es verstehen. Nach Jahrhunderten psychischer Verletzungen komme das angestaute Gift eben heraus, oft rüde und ohne Vernunft, oft selbstzerstörerisch. Aber es sei da und müsse mit Mitleid begriffen werden.
    Wir werden uns doch nicht gleich wieder vertragen mit der Tante Times.

21. Januar, 1968 Sonntag
    Die New York Times hat wieder einmal eine ganze Seite an sich selber verkauft, um ihren Lesern von eigenen Fortschritten zu berichten. Sie besitzt seit Mai die Microfilming Corporation of America, sie brüstet sich mit ihrer Nichte Hallelujah, sie ist dicker geworden; aber das wichtigste ist ihr doch der 117 Jahre alte Punkt hinter ihrem Titel, den sie fortgelassen hat. Es seien nicht die jährlichen $ 41,28 für die Druckerschwärze der Grund gewesen, sondern der Wunsch, die Tante lesbarer und genießbarer zu machen.
    Sonst scheint wiederum nichts zu fehlen. Nicht einmal ist ihr entgangen, daß die Regierung kurz vor Weihnachten einen stellvertretenden Staatssekretär für Verteidigung zu Senator Fulbright geschickt hat. Er möge doch endlich aufhören, seinen Ausschuß für Auswärtige Beziehungen fragen zu lassen, ob 1964 tatsächlich U. S.-Zerstörer im Golf von Tonkin angegriffen wurden. Die Regierung habe ihre Beweise, und der Bombenkrieg seit dreieinhalb Jahren sei rechtens. Senator Fulbright ist immer noch nicht überzeugt.
    Dr. Semig hatten sie überzeugt. In der ersten Dezemberwoche reiste er.
    Es war immer noch keine Angst, die ihn

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