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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Eigentum, denen die Leviten gelesen werden.
    Wenn eine Familie wie die Carpenters III an der West End Avenue den Negerfamilien alles Gute wünscht, jedoch eine Wohnung im eigenen, solide wenn nicht elegant gehaltenen, Appartementhaus zum Guten nicht gehört, dann spricht zumindest Liz Carpenter III von den Slums und beweist sich ohne Zweifel, daß diese Schwarzen schlicht nicht verstünden, in einer Zivilisation zu leben, als sei das eine Veranlagung von der Natur aus. Kaum eines jener Argumente, die einer annähernd gleichmäßigen Verteilung des gesellschaftlichen Eigentums steuern sollen, ist bemüht um Brillanz oder doch den Anschein von Schlüssigkeit. Dies übersieht obendrein, daß nicht sämtliche Neger in Slums wohnen und nicht nur Neger in Slums. Das Vorurteil der amerikanischen Nation gegen ein alteingesessenes Zehntel ihrer Angehörigen mag unbegreiflich sein, schon daß hier nicht die Psychoanalyse beschäftigt wird; die Gegenstände, die mit Hilfe dieses Vorurteils verteidigt werden, sind handfest. Es geht um Arbeitsplätze als Mittel des Einkommens, um Ausbildung als ein Mittel zu besserem Einkommen, um das Recht auf Rechte als eine Sicherung des Einkommens. Die Sache heißt Rennen der Ratten, und das Handikap einiger Gegner kann den eigenen Gewinnchancen doch dienlich sein.
    Keine Gruppe hat um ihre Rechte so lange kämpfen müssen wie die Neger. Die davongelaufenen und freigelassenen Sklaven, die im vorigen Jahrhundert in den lässigeren, weniger eingebildeten Norden kamen, wurden da doch isoliert in reservierten Vierteln, ausgebeutet von »weißen« Hausbesitzern und Kaufleuten, ausgeschlossen von gleichberechtigter Erziehung und Ausbildung, immer zuerst gekündigt, immer zuletzt angestellt, und vor ihren Augen wanderte Gruppe nach Gruppe von auswärts ein, faßte Fuß, wurde anerkannt unter den Bürgern, die Deutschen, die Italiener, die Juden, in den fünfziger Jahren die Puertorikaner. Acht Jahre ist es her, und immer noch stimmen die klassischen Zahlen von John F. Kennedy: »Das Negerkind hat … ungeachtet seiner Begabung, statistisch … halb so viel Aussicht, die Oberschule abzuschließen, wie das weiße Kind, ein Drittel so viel Aussicht, die Universität zu absolvieren, ein Viertel so viel Aussicht, in einem Fachberuf zu arbeiten, und viermal so viel Aussicht, ohne Arbeit zu sein.« Das sagte John Kennedy, als er auf einer Wahlreise war. Was immer die Wurzel sein mag für die traumatische Aussperrung durch die Weißen, die Gruppe der Neger muß aus diesem Grund die höchsten Verluste im Arbeitskampf hinnehmen, konsequent stellen sie die meisten derjenigen Bürger, die die Hoffnung auf Arbeit aufgegeben haben, die zu dieser Hoffnung nie imstande waren, die sich fallen lassen in den Slum.
    Der Slum ist ein Gefängnis, in das die Gesellschaft jene deportiert, die sie selbst verstümmelt hat. Das sind Wohnungen, in denen die Wanzen und Schaben nicht mit der geduldigsten Anstrengung im Zaum gehalten werden können, in denen es beim Kühlschrank nicht auf die Kühlung der Nahrungsmittel ankommt, sondern auf die Funktion des Tresors, den das Ungeziefer nicht knacken kann. Wenn ganze Familien, ohne das Geld für Erholung oder Fluchtversuche, in einem einzigen Zimmer wohnen müssen, werden die Kinder Zeugen unausbleiblicher Streitszenen, kommen müde und verstört in die Schulen, mit unvollständigen Hausaufgaben; ihre Leistungen müssen hinter den Anforderungen des Lehrplans zurückbleiben, sie verlassen die Schulen so früh als möglich, sie »fallen heraus« und beginnen in niederen Berufen zu arbeiten, die mit der technischen Entwicklung aussterben werden, und sind ausgebildet für die Armut. Wenn auf der Oberen Westseite zwei Drittel der Neger einzelne Männer sind, so weil eine vom Ernährer verlassene Familie damit den Anspruch auf Fürsorge-Unterstützung erwirbt; die Wissenschaft hat bereitwillig den »Faktor der Einraumbelegung« erfunden. Die Neger in den Slums fühlen sich vernachlässigt von der Polizei, ihre Straßen werden spärlicher patrouilliert, Einbrüche bei ihnen rufen eher Langeweile hervor, bei einer Schlägerei wird der Dunkelhäutige bevorzugter festgenommen als der Hellfarbige; dennoch wünschen die Neger schlicht mehr Polizei, zuverlässigeren Schutz (wo die Weißen sich leisten können, eine zivile Aufsichtsbehörde für die Ordnungskräfte zu fordern). (Die Kommunistische Partei Amerikas findet nicht statt.)
    Gegenwehr geht ins Leere. Versuchen die Bewohner des Slums

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