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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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zuerst Blut lassen. Das macht uns gar nichs aus, bei Feindannäherung hab ich auch schon paar Lastwagen quer über die Straße gestellt, angesteckt, und denn mit ein’ geklauten Schild vonne Feldgendarmerie überm Tarnmantel die S. S.-Division Totenkopf auf die Russen zu geleitet.
    Hast dich abgesetzt, Klaas.
    Sonst säß ich nich hier!
    Hestu richtig måkt.
    Na -.
    Fang an, min Jung.
    Ich bin doch nu verwundet gewesen.
    Oh Gott ja. Klaas.
    Ne-i doch. Das war im Lazarett in Schaulen, da hab ich aus ein’ Fenster gesehen. Da war was eingezäunt, Baracken und so Reste von der Stadt. Zivilgefangene hielten die da drin. So Lumpen am Leib.
    Was hat die S. S. mit denen gemacht?
    Nicks, Mudding. Nich, als ich hingesehen hab.
    Und denn?
    Ja Vadding da mocht ein Mensch doch nich hinsehen!
    Jå-so.
    Nu sühst du’t.
    Segg uns dat man.
    Nu in Smolensk wurden wir gleich kaserniert, Ausgangssperre. Ich als Charge, ich fühlt mich nich gemeint. Ging mit ein’ Freund vor die Stadt -
    Klaus!
    Wir haben auch gar nich gefunden was wir suchten! Wir haben in einem Gehölz am Stadtrand einen Haufen Leichen gefunden. Mannshoch. So, bis zur Schulter. Zivilisten. Aufgestapelt, wie zum Verbrennen.
    Partisanen. Saboteure.
    Kinder, Herr Kliefoth?
    Nee, Klaus.
    Kinder, und Frauen, als ob sie von der Arbeit gekommen wären. Vom Einkaufen.
    Hast du ein Bild, Klaus?
    Beim Fotografieren waren wir gerade, da kamen die Greifer, Feldgendarmerie, brachten uns zur S. S. Sollten wir gleich erschossen werden.
    Wie kannst du dich so in Gefahr begeben, Klaus!
    Die Gefahr war ja schon da, als wir kamen. Na. Zackig melden, Marschpapiere. Mußten wir schwören.
    Was, min Jung.
    Daß wir es nich gesehen haben! Daß es das nich gibt, Mudding.
    Kann nich sein.
    Nich?
    Wie können sie dich denn auf Urlaub lassen? kannst doch alles erzählen!
    Der Urlaub is doch die Prämie. Für das Schwören.
    Glœwen Se dat, Herr Kliefoth?
    Die S. S. macht das.
    Heer nich?
    Heer!
    Klaus muß so was nich machen?
    Nein.
    Das kann ich nich glauben.
    Hett mi ook nicks hulpn.
    Kinder?
    Kinder.
    Aber das sind doch Deutsche, die S. S.
    Das sind sie.
    Ganz zivile Kinder?
    Nu kleit mi doch an’ Nors! So düster wier dat nich. Ein hett utseihn, dor fæhlt nich væl, denn is de Diern likert Cresspahl sin wæst!
    Cresspahl, glœwst du dat?
    Ja.

28. März, 1968 Donnerstag
    ist von der Mittagspause an der Tag Professor Kreslils, jenes Lehrers aus Böhmisch Budweis, der vor fast zwanzig Jahren wegging von seinen Schülern und nun ein Leben auf der Oberen Ostseite von Manhattan versucht mit tschechischen Übersetzungen, Schreibarbeiten, gelegentlich Privatstunden in seiner Sprache. Anfangs versuchte er die Manieren des Unterrichts durchzuhalten, saß so umsichtig vorbereitet und von Lehrmaterialien umgeben hinter seinem Tisch, als sei er nicht einer einzigen Schülerin seine Fürsorge schuldig, sondern weiterhin den dreißig von ehedem. Es schien, als wolle er mit dem Vorzeigen der lehrerhaften Formen sich versichern gegen den mindesten Zweifel, er verdiene sein Honorar nicht bis auf den letzten Cent. Denn der alte Mann braucht das Geld. Für ihn waren die U. S. A. nicht das Land der beschwichtigenden Märchen vom Erfolg, hatten wohl auch nur eine Gegend sein sollen weit genug weg von der Tschechoslowakei; wo er wohnt ist die Ostseite nicht mehr die geschlossene Versammlung der Wohlhabenden, sondern eine ungeschützte Herde verreckender Vierstockhäuser an der Grenze des deutschen und ungarischen Gebiets; schließlich, das Übertragen naturwissenschaftlicher oder maschineller Prozesse geht ihm nicht eben leicht von der Hand, da er Sprachen gelehrt hat, solange die Deutschen und späterhin die tschechischen Kommunisten ihn ließen. Die Überreichung des Schecks am Ende der Stunden war für ihn ein genierlicher Vorgang, da seine Bemühung nun unmittelbar umgewandelt erschien in nichts als Geld; er war doch erleichtert, daß er wiederum nicht um den Lohn betrogen werden sollte und bedankte sich bei Mrs. Cresspahl in einer altertümlichen, nahezu ergebenen Art. - Ich bin Ihnen sehr verbunden: sagte er noch Ende November.
    Er selbst war es, der aus den Donnerstagnachmittagen Gelegenheiten machte von geselliger, nahezu freundschaftlicher Art. Er kann nicht anders als beim Eintreten von Mrs. Cresspahl aufstehen, ihr entgegengehen, sich vor ihr verbeugen, sie mit einem Handkuß begrüßen; sie obendrein bestand nicht darauf, für ihre guten Dollars den unverzüglichen Beginn der

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