Die Geschlechterluege
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Alle Vorurteile sind schon da
»Ich habe mir das mit dem genetischen Einfluss nochmal überlegt, schließlich hat sie ja diese beiden X-Chromosomen, und dann, ich weiß nicht, wir drängen ihr das ganze Barbie-Zeug ja nicht auf, mir wäre es ehrlich gesagt lieber, sie hätte es überhaupt nicht … Ich bin also irgendwo schon irritiert: Obwohl ich mich neutral verhalten will, zieht es sie doch in die eher weibliche Richtung, ich glaube also schon, dass das genetisch bedingt ist.«
(Weiße, lesbische Mutter aus der oberen Mittelschicht über ihre dreijährige Tochter.)
Kommentar aus Emily Kanes Interview-Studie (2006)
Wenn ich Elternpaaren erzähle, dass ich ein Buch über Gender schreibe, bekomme ich als häufigste Reaktion eine Anekdote zu hören, wie viel Mühe sie sich gegeben hätten, ihre Kinder genderneutral großzuziehen, und dass es einfach nicht funktioniert hat. (Die zweithäufigste Reaktion ist höflicher Rückzug.) Die Soziologin Emily Kane hat festgestellt, dass diese Erfahrung weit verbreitet ist. Sie interviewte 42 Elternpaare von Kindergartenkindern quer durch alle gesellschaftlichen Schichten und fragte sie, warum sich ihrer Meinung nach ihre Söhne oder Töchter manchmal geschlechtstypisch verhielten. Viele Eltern führten die Evolution oder die göttliche Vorsehung als Grund dafür an, dass es angeborene biologische Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt (obwohl die meisten auch soziale Faktoren nicht ausschlossen). Über ein Drittel der interviewten Eltern jedoch – zumeist Weiße aus der oberen Mittelschicht – vertraten die, wie Kane es nannte,»Biologie als Fallback«-Position: Sie waren via Ausschlussverfahren zu der Erkenntnis gelangt, dass die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen biologisch bedingt sein müssen, denn da sie überzeugt waren, der von ihnen praktizierte Erziehungsstil sei genderneutral, blieb logischerweise nur die biologische Erklärung:
Es ist ja nicht so, dass meine Söhne den ganzen Prinzessinnenkram nicht zur Verfügung hätten … Alles ist da, aber es interessiert sie nicht, sie verlangen nicht nach irgendwelchen Prinzessinnen-Spielsachen oder dem ganzen Ken-und-Barbie-Kram … Ich glaube schon, dass das Veranlagung ist, wenn sie die Sachen sehen, mit denen ja auch wirklich gespielt wird, und überhaupt kein Interesse daran haben. (Weißer heterosexueller Vater aus der oberen Mittelschicht über das Desinteresse seiner beiden Söhne [3 und 4] an den Spielsachen ihrer Schwester [6])
Eltern sehen immer wieder, dass die Kleinen sich wie ein typischer Junge oder wie ein typisches Mädchen verhalten, und, so Kane, »vermuten dann, dass sich irgendetwas Unveränderliches zwischen ihre genderneutralen Anstrengungen und das genderspezifische Ergebnis geschoben haben muss«. 583
Mit dieser Meinung befinden sie sich in illustrer Gesellschaft. Lawrence Summers schenkte seinen Zuhörern als Teil seiner Ausführungen über die wahrscheinlich angeborene unterentwickelte Eignung von Frauen für Spitzenpositionen in den Naturwissenschaften und ihr daraus resultierendes geringeres Interesse eine Impression frisch vom eigenen heimischen Herd:
Meine beiden zweieinhalbjährigen Zwillingstöchter bekamen keine Puppen, sondern Lastwagen, und dann fielen solche
Sätze wie »kuck, Papa Truck trägt Baby Truck«. Ich glaube – obwohl ich wirklich wünschte, es wäre anders –, diese Erfahrung gibt mir eindeutig etwas ganz Bestimmtes zu verstehen. Und ich glaube, das muss man einfach akzeptieren. 584
Steven Pinker zielte im Lauf einer wissenschaftlichen Diskussion über die Gründe für die Kluft zwischen den Geschlechtern mit seiner ironischen Anmerkung in eine ähnliche Richtung: »Es heißt, es gebe einen Terminus technicus für Leute, die glauben, dass kleine Jungen und Mädchen ohne Unterschiede auf die Welt kommen und dass sich ihre Natur erst aufgrund der Sozialisation durch ihre Eltern herausbildet. Dieser Terminus lautet ›kinderlos‹.« 585
Die Frustration naiver, nicht-sexistischer Eltern ist zu einer gern vorgebrachten Lachnummer geworden. Zum Genre der aktuellen Bücher und Artikel über angeblich auf Veranlagung beruhende Genderunterschiede gehört der Abschnitt, in dem mit unverhohlener Schadenfreude die erheiternden Bemühungen von Eltern beschrieben werden, die es tapfer, doch immer vollkommen ohne Aussicht auf Erfolg mit genderneutraler Erziehung versuchen:
Eine meiner [Louann Brizendines] Patientinnen gab ihrer
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