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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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vom Rest der Gesellschaft begreifen können, auf ihre Arbeit konzentriert sind wie auf etwas Heiliges, mit einem eher nach innen gerichteten Blick. Und sie trugen die Stöckchen zwischen dem Ellenbogen und den unteren Rippen, ganz wie ich auf Bildern gesehen hatte.
    – Gesine, was haben sie gesagt.
    – Thank you for the trouble of seeing us. Wir entschuldigen uns für die Mühe, die unser Besuch Ihnen bereitet hat.
    – Und Cresspahl?
    – Daß es geheim bleiben möchte. Das nahmen die hin wie eine Unschicklichkeit, als sei das schon Zweifel an ihrer beruflichen Ehre. Nickten ihm zu, fuhren vom Hof. An den Flüchtlingen im Haus waren die Herren vorbeigegangen, ohne sie zu sehen.
    – War Jakob schon da?
    – Ja.
    – Nicht jetzt, Gesine.
    – Wann immer du willst.
    – Und es kommt wirklich nichts Spannendes mehr mit den Engländern? Schüsse in der Nacht? Sprengstoffanschläge aufs Rathaus von Jerichow? Etwas Aufregendes?

14. April, 1968 Sonntag
    – Haben Sie Westberlin angemeldet, Mrs. Krissauer?
    – Vor zwei Minuten. Acht-fünf, fünf-drei, fünf-
    – Wir geben Ihnen Westberlin.
    – Platzreservierung.
    – Anita, ist das euer Code für heute?
    – Ja. Gesine. Wo bist du? Auf dem Flughafen? Tempelhof oder Tegel?
    – Ich bin zu Hause.
    – Du ich kenn dich. Du bist im friedenauer Hospiz, und willst mich üzen über zwei Blocks. Komm unverzüglich her!
    – Hier haben wir den Riverside Drive und 70 Grad Fahrenheit.
    – Falsch.
    – Du, Anita. Ich wollte bloß fragen. Ob du noch lebst.
    – Frag mich was Einfaches. Gesine, warum sollen wir nicht leben?
    – Im vorigen Sommer, als der Aufstand in Newark war, hast du angerufen -
    – Dies ist kein Aufstand, Gesine. Du weißt doch, was man so zu einer Revolution nimmt.
    – In der New York Times steht, daß mehrere Tausend Studenten gestern abend den Kurfürstendamm blockierten, daß die Polizei Pferde und Wasserkanonen einsetzt -
    – Ja. Heute auch. Etwa viertausend. Ich hab es gesehen. Die Polizei reitet wie wild in die Leute rein und schlägt auf alles in Reichweite. Die Studenten hauen mit Stöcken zurück, wehren sich mit Sprühdosen, Feuerwerksdingern, mit Äpfeln!
    – Warst du dabei?
    – So als ältere Dame, weißt du, mit fünfunddreißig -
    – Ich auch, Anita.
    – Ja du ich kann das nicht. Die laufen da gegen die Polizei an und rufen HO ! HO ! Ho-tshi-minh! Mir bleiben die Füße weg, ich krieg den Mund nicht auf.
    – Verwandt sind wir ja. Und wieso Ho-tshi-minh? Geht es nicht um den Anschlag auf Herrn Dutschke?
    – Um Rudi Dutschke, und um Herrn Professor Dr. Springer. Der soll es mit seinen Zeitungen gemacht haben.
    – Die New York Times sagt: Der Mord an Martin Luther King war das Vorbild des Täters.
    – Ist es doch auch!
    – Anita, dann versteh ich es nicht.
    – Der Präsident der Republik Nord-Viet Nam als Symbol des revolutionären Befreiungskrieges, und ein Zeitungsverleger als Symbol der Unterdrückungsmacht. So ungefähr, Gesine.
    – Hier gibt es ein Zitat: Nicht mit Gewalt, sondern durch die Kraft des Arguments -
    – Dutschke?
    – Ja.
    – Na vielleicht sollen wir es ja nicht verstehen, Gesine.
    – Do not trust anybody over thirty. Es ist also kein Aufstand.
    – Nur, über den Kurfürstendamm gehst du lieber nicht, Gesine. Wir hatten eine Schleuse vorgebaut -
    – Paß auf, du.
    – Das war bloß ein Stück Zucker für die Pferde, die hier reinhören.
    – Mit den kleinen Ohren und dem großen Kopf.
    – Widerliche Biester, wenn sie Angst haben. Das schlechte Gewissen, wenn sie auskeilen. Friedensmarsch hieß die Sache. An der Spitze ein älterer Mann, mit Holzkreuz -
    – Osterriten macht ihr da auch?
    – und die Polizei bohrt so mit sechs Wasserstrahlen an ihm rum, überarmsdick. Dem sitzt die Leber nun schief. Einmal kam da ein Neger in Sicht, ein Amerikaner offenbar, und die Polizei wurde zahm und höflich. Überall Fotografen, von den Zeitungen, dem Fernsehen und dem studentischen Erkennungsdienst. Die Polizei, und einen Angehörigen der amerikanischen Schutzmacht schlagen! Dann haben sie ihn doch verhaftet. Die Polizei hat jetzt 350 Leute im Bunker.
    – Und du als Matrone auf dem Bürgersteig.
    – Ich bin dir eine Dame der Gesellschaft du! Mein Kleid ist hin, und meinen Rücken muß ich klempnern lassen. Das ist eine Kanone du! wenn dir die mit Überdruck Wasser auf den Leib setzt! du wärst auch hingefallen.
    – »Kind Anita!«
    – Ja meine Großmutter nehm ich zu so was nicht mit. Und naß ab in die S-Bahn. Die

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