Jahrestage 2
Louise befand die Fremde nicht für würdig, eine Unterredung mit dem großen Papenbrock selbst zu haben. Die Frau, etwa 40 Jahre alt, von ihrer Mutter begleitet, war wegen des arischen Nachweises gekommen. Louise verstand lange nicht. Was das die Papenbrocks angehe, ob jemand nicht von Juden abstamme. Sie erinnerte sich kaum noch an die vielen Nächte, die Papenbrock in den neunziger Jahren außer Haus verbracht hatte, auf dem Hochsitz, wie er sagte. Dann mußte sie doch Papenbrock aus dem Comptoir holen, damit er Wiedersehen feierte mit der abgefundenen Liebsten von vor vierzig Jahren, und mit der Frucht der Liebe. Papenbrock bekam seine Frau herum mit den christlichen Tricks, die er ihr abgesehen hatte. Und als Lisbeth und Horst starben, trug sie die Trauer, nicht nur als Kleidung, auch als Stolz darauf, daß die Gelegenheit Niemand Anderem als der Papenbrock gehöre. Im übrigen habe es noch 1945 genügt, Louise Papenbrock in der ehemals Schwennschen Bäckerei beim Regieren zu beobachten. Stundenlang standen die Leute Schlange in der Stadtstraße, wenn die Papenbrocks einmal Backtag machten, da fielen Frauen vor Hunger in Ohnmacht, und Louise in ihrer prallen Leiblichkeit fuhr den Kunden über den Mund und verteilte das Brot wie eine Gnade, gern mit Verweisen auf das Schild an der Wand: Fasse dich kurz. Oder hilf mir arbeiten. Cresspahl fasse sich kurz mit ihr.
Ob er etwas über den Tod Lisbeths sagen möge.
Sie –
Es sei nicht nötig.
Am 9. November 1938 habe ein Rollkommando S. A. in Jerichow die Marie Tannebaum erschossen, ein Kind. Ein achtjähriges Kind. Ein jüdisches Kind. Am 10. November morgens sei Lisbeth in dem brennenden Werkstatthaus umgekommen.
ROBERT PAPENBROCK .
»Robert Papenbrock«. Es gebe womöglich deren zwei. Der eine war Louises Erstgeborener, als Herrschaftskind erzogen. Er habe sich nach Belieben genommen, worauf er Lust hatte, auch die Menschen wie Sachen. Oft genug habe der alte Papenbrock einem Dienstmädchen eine Aussteuer zahlen müssen und dann noch einen Kätnerjungen finden, der als erstes Kind nicht ein eigenes großziehen wollte. Papenbrock habe seinen Robert vor dem Bordell bewahren wollen; Louise begnügte sich mit Verwunderung über Papenbrocks Großzügigkeit gegen Zimmermädchen, die doch im Dienst schwanger geworden waren. Min Röbbing, min goden Jung. Röbbing ritt Pferde in Wettrennen mit Automobilen zuschanden, Röbbing richtete Schußwaffen auf Dorfjungen und noch auf die eigene Schwester, Röbbing besiegte die härtesten Internatsschulen, Röbbing stahl Pferde, wenn ihm nicht geborgt wurde. Dieses Kind verschwand im Mai 1914 aus Parchim, lebte eine Weile bon im hamburger Gängeviertel von den Goldfüchsen, die er von seiner Mutter mit fröhlichen Drohungen erpreßte, und als er hätte zu den Fahnen des Kaisers eilen sollen, schwamm er auf einem Dampfer im südlichen Atlantik. Die Familie sagte nach außen, er studiere Export und Import in Rio de Janeiro. Dies sei der eine Robert Papenbrock gewesen, danach kein Briefschreiber mehr.
» ROBERT PAPENBROCK «.
Einer von des alten Papenbrocks Einfällen. Im Juli 1934 schickte er den jüngeren Sohn aus Deutschland und befahl ihm als Beschäftigung die Suche nach dem verschollenen Sprößling. Im Sommer 1935 kam Horst zurück mit einem Mann im passenden Alter. Er konnte es sein. Louise glaubte einen Willen Papenbrocks zu erkennen, und nahm den Fremden an, obwohl dessen bequeme Leiblichkeit, die Glatze, das träge Wesen, Hautverfärbungen am Hals sie störten. Seine Geschichte paßte zu der, die im Mai 1914 aufhörte; es war dieser aber zu lange mit Horst zusammen gewesen. Sein Mecklenburgisch wollte er verlernt haben, und Louise entschloß sich, ihm die Stimme zu glauben. Horst unterbrach die Erzählungen des Fremden nicht; erst kurz vor seinem Tod deutete er an, daß er von all dem nur eine Absteige in New York bestätigen möge, in der der Gefundene Hausdienste versehen habe. Horst aber hatte mit dem Bruder die Jahre bis 1914 gemein, und Horst schwor diesen auf dem deutschen Konsulat von New York ehrlich. Jener Robert Papenbrock mochte mit seiner Familie nicht leben. Er empfahl sich der Hitlerregierung als Freund von Nazis in den U. S. A. und wurde zunächst in der Auslandsorganisation der N. S. D. A. P. beschäftigt, als Tagungsredner, als Dolmetscher für Werberedner in Übersee; dann übernahm ihn der S. D. Am Anfang kam eine Ansichtenpostkarte aus Berlin mit schwer kenntlicher Handschrift; danach waren
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