Jahrestage 2
nicht demütig, sondern wie ein erwachsener Mann, der sich auf einem kindlichen Fehler ertappt hat und von anderen der Vorwürfe nicht bedarf, die er sich selber verabreicht. Er wählte die religiöse Form des Eides. Danach hielt er sich aufrecht, sah die Schöffen voll an, wandte sich ohne Hast um zu Kraczinski. Sie hatten ihm sein Eisernes Kreuz zurückgegeben. Er sprach etwas langsam, weil er so lange allein gewesen war.
Ob er bei der Darstellung bleibe, daß es für den damaligen Ackerbürger Griem keinen unrechtmäßigen Vermögensvorteil bedeutet habe, als er in seiner Eigenschaft als Tierarzt eine erkrankte Kuh zum Abdecker begutachtet habe, so daß besagter Griem für das beseitigte Tier aus der Kuhkasse (Versicherung auf Gegenseitigkeit) einen Betrag von 800 damaligen Rentenmark erzielt habe, der ihm bei einem gewöhnlichen Verkauf womöglich nicht geworden wäre? Und zwar ohne daß Dr. Semig als Begünstigender vom Begünstigten einen Anteil am Gewinn angenommen habe?
Semig strich sich über die Bürste von grauen Haaren, als sei er geniert, einem Akademiker nochmals zu erklären, was einem Kind beim ersten Male hätte eingehen sollen. Eine Leberentzündung sei eine Leberentzündung. Es habe zu keiner Zeit in seinem Belieben gestanden, das Bakteriologische Institut in Schwerin zur Fälschung von Befunden anzuhalten. Nicht einmal 1931 seien seine Vermögensverhältnisse auf einem Stand gewesen …
Das war nicht recht zu hören, weil Griem seit Kraczinskis erster Frage an Semig zu brüllen begonnen hatte, wild herausgestoßene halbe Sätze, unterbrochen von schweren Handschlägen wohin er gerade traf, auf Knie oder die Lehne, als ob er unfähig sei, Schmerz zu fühlen.
Dr. Kraczinski hatte keine Fragen.
Griem bekam eine Ordnungsstrafe wegen mangelnder Achtung vor der Würde des Gerichts.
Semig bekam Freilassung, in einem Nebensatz.
Warning bekam 120 Tage Gefängnis, wegen grundloser Verdächtigung eines Amtsträgers der Partei, damit einer Organisation der Partei.
Hagemeister bekam eine Geldstrafe von zweihundert Mark.
Dr. Wegerecht ging nach Hause, so verblüfft über die Sinneswandlung von Dr. Kraczinski, daß er ihn zum Mittagessen mitnahm. Er schickte Gisela am hellichten Tag nach Wein, und die herzweitende Freude über die Erlösung und auf das erste Glas wurde ihm nur wenig verdorben durch Irmi von Oertzens schäkerndes Gehabe gegen den neuen Gast und durch ihre Frage, warum sie sich denn solcher Lappalien angenommen hätten.
Hagemeister kam sich bedanken. Er bestand darauf, Lisbeth die Hand zu geben. - Dat wier je ne düre Ünnerhollunk: sagte er.
Cresspahl erwiderte etwas Undeutliches, das hätte hinauflaufen können auf ein Angebot.
– Wat! sagte Hagemeister. Hundert Mark wolle er bezahlen als Lehrgeld. Die anderen hundert aber werde er von Robert Papenbrock eintreiben, ohne je zu dem hinzugehen; hinterherlaufen müsse ihm der! - Nicks föe ungaud, Fru Cresspahl!
– Es gefällt mir nicht: sagt Marie. Es ist ihrer Stimme anzuhören, daß sie auf dem Rücken liegt; seit der Ankunft der Familie Killainen schläft sie in dem Zimmer der Schweizerin mit Annie und mir zusammen. Sie spricht langsam, bedächtig, unzufrieden.
– Daß es so glimpflich abging? das ist noch nicht zu Ende.
– Daß Unglimpfliches angekündigt war, und kam nicht.
– Die enttäuschte Erwartung?
– Ja. Und daß es keinen Schluß hat. Und daß das Ende nicht erklärt ist.
– Marie, woher sollten die Jerichower wissen, wer da für Griem telefonierte, und wer gegen ihn?
– Du hast von Ministerien gesprochen.
– Die waren fern ab, und selbst aus der Nähe hätte Cresspahl nicht und Papenbrock nicht mehr da hineinsehen können. Die jerichower Zeugen, Dr. Berling, Avenarius ein Rechtsanwalt obendrein, hatten so wenig mitbekommen, die mußten aus dem Zeugenzimmer geholt werden, weil der Justizwachtmeister sie vergessen hatte, und sie übten immer noch ihre Umwege und Ausreden ein.
– O. K., Gesine.
– Und wenn ich dir nun etwas von Peter Niebuhr erzähle.
– Ach was, Peter Niebuhr. Ein Schwager von Lisbeth wie von Cresspahl. Ein junger Mensch. Der kam doch gar nicht vor in dieser Geschichte.
– Und wenn er nun käme, Marie? Wenn er längst beurlaubt wäre von der Unteroffiziersschule in Eiche bei Potsdam, und beschäftigt in einem Büro unter Reichsnährstandsführer Eugen Darré, und wäre da gestoßen auf einen Nazi mit Durchstechereien von Geld und Erkenntlichkeiten, einen aus Jerichow obendrein,
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