1521 - Der nächste bist du, Sinclair!
Es ließ auch das recht einsam stehende Haus nicht aus, das wie ein Zielobjekt wirkte. Die Blitze umtanzten das Haus, sie bildeten einen zuckenden Wirrwarr aus grellen Explosionen, die von den Donnerschlägen gejagt wurden.
Nicht nur die Blitze und der Donner waren da, es gab noch einen dritten Begleiter. Und das war der Sturm. Mit einem schrillen Heulen, dann wieder mit dumpfem Brausen erfasste er alles, was sich ihm in den Weg stellte. Uralte Bäume mussten sich seiner Kraft beugen, und das im wahrsten Sinne des Wortes, während andere, die nicht so fest im Untergrund verankert waren, dem heftigen Ansturm nicht widerstehen konnten und mitsamt dem Wurzelwerk aus dem Erdboden gerissen wurden.
Es war die Hölle. Eine Natur, die den Menschen zeigte, wozu sie fähig war. Grausam hatte sie zurückgeschlagen. Eine Rächerin, die sich nichts mehr gefallen ließ.
Nicht alle zahlten dem Sturm Tribut. Es gab natürlich starke Bauten, die sich ihm entgegenstellten, und dazu gehörte auch das dunkle Haus in der Einsamkeit der Landschaft.
Es sah schwarz aus. Es gab kein Licht hinter den Mauern. Wenn es mal besser zu sehen war, dann lag es an den Blitzen, die immer wieder für wenige Augenblicke die Gegend erhellten.
Der Sturm orgelte um die Ecken. Er erzeugte dabei Geräusche, die unheimlich klangen.
Manchmal wie ein schauriges Orgelspiel, dann wieder war ein hohles Pfeifen zu hören, als wären Unsichtbare dabei, auf Knochenflöten zu spielen.
Donnerschläge schienen das Haus zerschmettern zu wollen. Aber es stemmte sich gegen Blitze, Donner, Regen und Sturm. Als wäre es eine Trutzburg, die in alle Ewigkeit halten sollte.
Es gab noch die alten Fensterläden. Sie klapperten, wenn der Sturm mit seiner Urgewalt dagegen brauste, aber sie wurden nicht abgerissen. Und immer wieder zerrten die Böen auch an der Haustür. Sie wackelte bedenklich, aber sie hielt.
Bis zu dem Augenblick, als sie aufschwang und der Wind endlich freie Bahn hatte, um in das alte Gebäude hineinzustürmen. Er war ein wütender Geselle. Er fauchte, er schlug gegen andere Türen und erwischte auch eine menschliche Gestalt, die sich aus dem Hintergrund löste und auf die offene Tür zuging.
Die Gestalt kam aus dem Dunkel. Sie wurde von Sekunde zu Sekunde deutlicher. Der Wind erfasste ihre Haarflut und schüttelte sie wie einen Vorhang. Er schlug gegen den Körper, der sich nicht zurückdrängen ließ und weiterging.
Schritt für Schritt.
Die Kleidung flatterte, das Gesicht blieb hart, und dann erreichte die Gestalt die Schwelle. Sie verließ das Dunkel des Hauses und trat ein in das Spiel aus grellem Licht und Schatten, sodass sie deutlicher zu sehen war.
Es war eine Frau.
Recht groß und eingehüllt in eine altertümliche Kleidung. Das Gehänge an ihrer linken Körperseite war nicht leer. Aus ihm ragte der Griff eines Schwertes hervor.
Es machte ihr nichts aus, dass sie von den herabfahrenden Blitzen umspielt und auch getroffen wurde. Sie stemmte sich dem Unwetter entgegen und ließ sich durch die Kräfte der entfesselten Natur nicht aufhalten.
Die Frau ging noch einen Schritt vor, um durch die Tür nach Jraußen zu treten.
So hatte sie Platz genug, um das Schwert zu ziehen, das sie schräg gegen den Himmel reckte.
Auch jetzt wurde ihr braunes Haar durcheinandergewirbelt, was sie nicht weiter störte. Sie schrie gegen den Sturm und den Donner an. Ihre Worte klangen alles andere als freundlich.
»Ich bin wieder da! Und ich werde dich finden, Mann mit dem Kreuz! Ich, Leonore, habe nichts vergessen. Gar nichts…«
Ihren drohenden Worten folgte ein mächtiger Donnerschlag, als wollte er die Worte damit besiegeln…
***
Vor Kurzem hatte der Chef eine Ratte im Vorratsraum gesehen, und jetzt war Enrico dazu ausersehen worden, sie zu fangen oder zumindest die Falle aufzustellen.
Enrico hatte diese kleine Welt nicht eben fröhlich betreten. Er hoffte, dass ihm die Ratte nicht über den Weg laufen würde und er in Ruhe die Falle aufstellen konnte. Und er dachte daran, dass Ratten Herdentiere waren, so musste er damit rechnen, dass auch noch weitere erschienen.
Er wäre nie auf die Idee gekommen, sich zu weigern. Schließlich war er froh, einen Job bekommen zu haben, und wenn er auch das Mädchen für alles spielte, er setzte voll und ganz darauf, dass ihn seine Landsleute behalten würden, die dieses einsam liegende Lokal übernommen hatten und italienische Hausmannskost anboten, die sich aber von den Speisen der Trattorias und Pizzabuden in der
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