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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Köpfe, werden sie schon merken.
    Sie haben der doch wahrhaftig den Schuh in die Hand gedrückt.
    Sonst kommt alle zwei Minuten ein Zug und beißt was ab von der Schlange. Jetzt fahren sie einen Abstand von vier Minuten, und dieser wartet schon eine halbe zu lang.
    Wir hätten sie doch nicht reindrücken sollen. Sie ist drin, und wir sehen aufs nackte Gleis.
    Die kann noch steckenbleiben, wenn sie raus will. Oder so stehen bleiben, ohne Licht, irgend wo unterm Broadway.
    Gönn ich ihr.
    Gönnen wir dir.
    Und Glück auf die Reise!
    Und Glück auf die Reise!
    Hat sie sich bedankt?
    So die Nase verzogen, weißt du. Wenn man nicht geradezu aufdringlich sein will und lächeln.
    Kenn ich.
    Da fährt sie hin. Nichts zu danken, du!
    Bis morgen, ihr!
    Schon gut, du. Bis morgen.
    28. Mai, 1968 Dienstag
    Am Morgen wartete der Zug hinter dem Bahnhof 50. Straße im Dunkeln. Die Entfernung zur beleuchteten Plattform war schwer zu schätzen. Das Gedächtnis meldete in einem fort eine helle Stelle neben der Strecke, fünfzig Meter weit, achtzig Meter weit, vorgestern noch gesehen, ein Loch zum Licht, eine Treppe zur Oberfläche. Die beständig wiederkehrende Suche nach einem Ausweg trat auf der Stelle, drängte das Denken ab. In dem reglosen stillen Gedränge wuchs die Angst vor jeder weiteren Minute, bis das Anrucken des Zuges unglaublich war. Auf den Treppen unter dem Times Square standen die Polizisten gemütlich, die Hände genüßlich verschränkt am Knüppel hinterm Rücken, und blickten den verschreckten Fahrgästen entgegen, als wollten sie sagen: Sind sie alle hinter euch her? Haben sie euch diesmal noch rausgelassen? Ihr lauft ja, als solltet ihr Zucker kriegen.
    Nachdem Cresspahl verschwunden war, übernahm Jakob seinen Haushalt nicht gerne.
    Seine Mutter hatte es allein versucht. Die Flüchtlinge in der hinteren Hälfte des Hauses hielten sich an die Ordnung, die sie eingeführt hatte, in der Küche wie beim abwechselnden Reinhalten von Flur und Treppen; sie mochten da an eine letztwillige Verfügung Cresspahls glauben, und für Frau Abs war es unredlich, weil ihr ein solcher Titel nicht vermacht war. Wären nicht Gesine und Hanna Ohlerich gewesen, sie hätte wohl ihre Sachen gepackt und Zuflucht gesucht, wo Jakob arbeitete, zwei Stunden von Jerichow, wo sie nicht bekannt war als Wirtschafterin eines Bürgermeisters, den hatten die Russen abgeholt. Sie fürchtete nicht die eigene Verhaftung, schlicht von Behörden wollte sie nichts Gutes erwarten; sie hat es sich bis zu ihrem Tode nicht ausreden lassen. Sie kam so ungenau zurecht mit den Boten aus Warnemünde oder Lübeck, die in der Nacht vor dem Haus standen mit Geschäften, die allein Cresspahl verstehen mochte. Da waren die Kinder. Sie mußte der Gesine einen Morgen und Abend einrichten wie vor dem Verschwinden des Vaters. Sie mußte Ohlerichs Tochter ausreden, daß Cresspahls Haus nun auch zu den unsicheren gehörte. Mit Gesine ging sie morgens an den gneezer Zug, Hanna brachte sie an die Schule in Jerichow, abends mußte sie die beiden beschäftigen in der Küche, mit Flickarbeiten, mit den Aufgaben der Schule, und weil sie sich das Erzählen nicht zutraute, tat sie sich schwer mit den Taten des Wendischen Königs. An einem solchen Abend, bei der Petroleumlampe an Cresspahls Bürotisch, fiel die erste Haussuchung in die Tür, zwei fremde Sowjets mit Bürgermeister Schenk und Gantlik als Zeugen, ein zielsicherer Wirbelwind, der bald draußen war und nicht einmal umgeworfene Stühle hinterließ. Dennoch war sie so erschrocken, daß sie die Nacht auf einem Stuhl am Bett der Kinder verbrachte. Sie ließ Cresspahls Zimmer zerwühlt liegen, bis Jakob herangeholt war. Jakob tat ihr den Willen nicht. Solche Verhaftungen waren nicht nur in die Nähe seiner Mutter gefallen, er wußte da Tagelöhner wie den Lübecker Hof. Sie würden in ganz Mecklenburg nicht anderes Wetter finden, die Grenze zum neuen Westpolen war seit dem 19. November geschlossen. Seine Mutter ließ ihn die vernünftigen Gründe ausreden, und er sah ein, daß er ihr einen unvernünftigen schuldig war. Er gab die Pferde in Kost bei seinen Kompagnons an der Grenze, er blieb in Jerichow. Es war für ihn die falsche Einrichtung. Er hatte Korn gut als Arbeitslohn, davon fraßen nun der Fuchs und der klapprige Wallach. Für die Arbeit bei der Instandsetzung des Gaswerks bekam er nichts als Geld, auf dem Lande hätte er Kartoffeln verdienen können. Nicht einmal war er diesem Cresspahl etwas schuldig, eine

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