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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Gefälligkeit wollte er ihm erweisen.
    Weil wir mit den Pferden nicht mehr ins Niedersächsische konnten, Gesine.
    Deswegen seid ihr geblieben?
    Was sollten die Leute denken.
    Geht ihr weg, und laßt mich im Stich. Nämlich, du wolltest, die Hunde nehmen das Brot in Stücken von dir.
    Und dein Haus wollten wir uns unter den Nagel reißen, jung Fru Cresspahl.
    Mich auf den Arm nehmen, das kannst du.
    So eine jüngere Schwester war mir gerade recht. Alles Eigennutz.
    Eigennützig war doch ich, Jakob.
    Wie fängt ein Junge vom Lande, in eine fremde Stadt verschlagen, den Vorstand eines Hauses an, und es ist ihm nicht einmal zu treuen Händen übergeben? Der Junge fing es an mit dem Erheben von Miete, rückwirkend zahlbar ab 1. Juli, der Ankunft der Neuen Ordnung. Er hatte das Haus im Kopf vermessen, nicht einmal gewarnt waren die Leute in Cresspahls Haus, als er ein Quittungsbuch auf den Küchentisch legte. Es war nicht mehr, als Frau Quade oder Familie Maaß verlangten, es blieb ärgerlich, weil ungewohnt. Die Lehrerin aus Marienwerder drohte ihm mit einer Beschwerde, weil er keinen Mietvertrag zu Grunde legen konnte. Bei diesem Wort fiel den anderen etwas auf, und sie begannen zu zahlen, es war ja nur Geld. So bekam das Kind Cresspahl allerdings ein Einkommen, das reichte noch für die Beherbergung einer Freundin. Vorsprechen auf dem Rathaus war beliebig, da war der Name Abs geläufig, denn er hatte bei seiner Eintragung auf der Lebensmittelkarte als Schwerarbeiter bestanden. Um diese 2450 Gramm pro Woche statt der gewöhnlichen 1700 hatte es Streit gegeben, bis sie dem Gaswerkarbeiter zugestanden werden mußten; in der Aufregung war ihm versehentlich das Recht zum Aufenthalt eingeschrieben worden, nicht widerruflich. Weiterhin war schlecht bestreiten, daß auch für das Brot der Kinder 0,43 Reichsmark je 1600 Gramm gefordert wurden. Damit nicht genug, der junge Abs hatte von da noch Formulare für die neueste Personenstandsaufnahme mitgebracht, es lag bei ihm, die Hausliste auszufüllen. »Einzutragen sind alle Personen, die am 1. Dezember 1945 zum Haushalt gehören, einerlei, ob sie am Stichtag anwesend oder vorübergehend abwesend sind.« Der Name Cresspahl, Heinrich, geb. 1888, stand da zuverlässig als Vorstand des Hauses. Die Familie Abs zeichnete als Stellvertreter, nicht als Hauswartleute. »Angehörige der Besatzung werden selbstverständlich nicht erfaßt«; vielleicht würde es dem jungen Abs an den Kragen gehen, weil er selbstverständlich einen Herrn Krijgerstam als Mitglied des Haushalts führte, denn dieser geschickte Überlebende aus den baltischen Provinzen trug gelegentlich die Uniform der Roten Flotte. Jedoch ließ er sich auch mit einem Schlafrock betreffen in Jakobs Zimmer, ein gelbhäutiger Vierziger, nach Früchten duftend; ernsthaft und mit den Manieren eines gut bezahlten Kellners bot er da Damenwäsche zum Verkauf, auch seidene, ein privater Sowjetmensch. Der junge Abs trocknete seine Hände an einem Tuch mit den Russen ab, und mit Vor- wie Vatersnamen redete er sie an. Er hatte seine Einsätze nicht zurückgezogen vom Schwarzen Markt, als die Pontijsche Mannschaft abkommandiert war, sogar kam Herr Wassergahn noch zu Besuch. Jakob hatte ein Zimmer für sich, nur weil er da ab und an deutsch-sowjetische Konferenzen abhielt, und ohne Scham hatte er seine Mutter in das Zimmer Cresspahls quartiert, womöglich als Wache vor den Schlafraum der beiden Mädchen; aber das Wohnungsamt hatte er vergessen machen, das Haus zu begehen, dem er vorstand. Mochte er später seiner Strafe nicht entgehen, vorläufig war recht, was er zum gemeinsamen Abendessen beitrug. Die verwirrte Studienrätin aus dem Westpreußischen hatte er mit kleinen Töpfen Milch für ihr Söhnchen so weit gebracht, daß sie ihm »Herzenstakt« nachsagte (Jakob war die Milch ärztlich verordnet). Den beiden Mädchen hatte er rasch abgewöhnt, bei solchen Sprüchen loszuprusten; nicht nur lernten sie Mitleid mit der unglücklichen Person, sie wollten es ihm auch recht machen und hatten heimlich die Augen auf ihm, wenn er sich beim Essen ausruhte. Sein Gesicht war kahl geworden, er stellte gern den Blick auf Fernsicht, und doch verlor er wenig von dem vielstimmigen Gerede am Tisch. Manchmal bewegten sich seine Lippen von allein, dann schluckte er ein Lächeln trocken herunter. Gesine kam sich in seinem Blick unausweichlich festgehalten vor; sie mußte oft an seinen Fuchs denken, der beim Trinken die Augen auf den Menschen abwandte, der

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