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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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erklären ist, macht die Zukunft, auch der Welt.
    Gegeben zu New York, 43. Straße, westlich des Times Square, den heutigen.
    Die Kommunisten in Prag machen erst einmal ein Gesetz, zu entscheiden im Juli/August. Einhunderttausend Bürger sind zu entschädigen für administrative Strafen à la Pontij, den Verlust von Wohnung und Berufsausübung, dergleichen. Vierzigtausend Häftlinge der Jahre 1948 bis1956 sollen 20 000 Kronen bekommen je Jahr im Gefängnis, davon ein Viertel zahlbar sofort, der Rest über zehn Jahre.
    Das wären eine Milliarde Kronen bis Ende 1970. Ein Dollar sei sieben Kronen wert, in besonderen Fällen sechzehn. Vergleiche den Rubelkurs. Verrechne nicht nur die 400 Millionen Dollar aus Moskau, auch jenes Guthaben von 20 Millionen in Übersee, dazu die 5 Millionen Rente, die tschechoslowakischen Bürgern vorenthalten werden von der Sozialversicherung der U. S. A. Wird es reichen?
    Das wäre die Arbeit von heute. In vierzig Minuten sollten wir am Riverside Drive sein, zu Hause.
    Da könnte ja Jeder kommen.
    Kommt angefahren vom Grand Central, läßt sich vom Gedränge in die Westseitenbahn treiben und sucht ihren Platz, wo immer die dritte Tür des ersten Wagens hält.
    Als ob New York jeden Tag funktionierte. Die Ubahn als Sonnenuntergang.
    Sie haben nichts ausgerufen am Grand Central!
    Und du bist in die Falle gelaufen, junge Frau.
    Hier fahren keine Züge.
    Wenn welche fahren, fährst du nicht gleich.
    Das war sonst immer mein Platz, da hielt die dritte Tür.
    Da stehen wir, du Kaukasierin, du rosa Kind.
    Ach du großer schwarzer Mann.
    Laß sie doch wenigstens auf ihren Füßen stehen. Schmeiß sie nicht um.
    Ich ne Dame umwerfen? Is doch wie Wellen hier unter der Erde.
    Was ist denn kaputt?
    Daß wir hier stehen müssen dicht an dicht in der Hitze, als wollten sie nur noch Wasser über uns gießen. Dann den Deckel zu.
    Einen Arm würd ich gern bewegen.
    Kein Strom.
    Nu rutsch doch nich so ran an die Dame. Sitzt ihr ja gleich inner Tasche.
    Nimmt sie dich mit nach Hause, un was is dann!
    Nach Hause kommen wir alle nicht.
    An welcher Stelle kaputt?
    Sieh an. Die will es auch noch genau wissen. Mit Zeichnung.
    So. Wenn ich meine Tasche zwischen die Beine ziehe – verstehst du?
    Kann ich meinen Arm in der Schulter drehen –
    Wenn du diesen dicken schwarzen Mann abblockst –
    So. Ihm ist auch wohler.
    Das können wir immer noch, was?
    Is ja bloß n Schaden an der Ubahn.
    Kennen wir doch. New York bleibt New York.
    Kuck bloß nich so! Meine Hand ist außen an deiner Tasche, nich innen!
    Da juckt es dich.
    Es geht dich zwar nichts an. Da hab ich so ne Stelle.
    Na, wir zwei beide?
    Wenn die Kleine lächelt, meint sie mich, du Ausländer.
    Bin keine Kleine.
    Da kommt ein Zug.
    Wie ein humpelndes Pferd.
    Ein Kraftwerk brennt in Brooklyn.
    Du, die steigen nich aus!
    Diesen Zug haben wir. Den geben wir nicht auf.
    Das ist mein Zug! Damit muß ich nach Hause!
    Und wenn wir hiermit bis in die Bronx müssen, das Ding bewegt sich doch.
    Von der Bronx kommt man wieder runter. Von hier nicht.
    Die sehen uns an wie eine fremde Armee.
    Ist das kein Grund zum Krieg? Sie sind in ihren Waggons eingesperrt, und wir in diesem Loch von einem Bahnhof.
    Wir sehen sie an wie eine fremde Armee. Da fahren sie ab ins Dunkle.
    Wenn der Zug hält in der Finsternis, sie werden nicht wissen wo.
    Gibt noch einer auf? Ich würd gern aufgeben, aber nicht allein.
    Hier gibt keiner auf.
    Du schaffst es nicht an die Treppe. Da spülen sie immer neue Leute rein.
    Die wissen es noch nicht.
    Da kann ja Jeder kommen.
    Die Stelle, wo die Bahn kaputt ist! New York ist kaputt!
    Die Maschine hat nun vierundsechzig Jahre Geld gebracht, warum sollen sie die erneuern?
    Für uns?
    So machen sie es eben mit uns.
    Ach weißt du, jetzt in einem Taxi –.
    Sonst stell ich mich seitlich zum Gleis, und fast immer werd ich unter einen Ventilator geschubst. Auf das Atmen konnte man sich freuen.
    Wetten, daß ich das Geld hab für ein Taxi?
    Wer nicht zu uns gehören will, den lassen wir nicht in die zweite Reihe.
    Siehst du den Zug auf dem Gegengleis? glühende Batterien unter dem Wagen.
    Der kommt auch nicht weit.
    Wir alle kommen nicht weit.
    Du hast schon einen Fuß am Bahnsteigrand. Das nächste Mal –
    Drück sie rein!
    Dreh dich! Die Schulter vor!
    Halt! Sie hat ihren Schuh verloren.
    Die kann auch barfuß.
    Zwei ehrenwerte Bürger wie wir, wir werden doch so ne Ubahntür wieder aufstemmen können!
    Einfach reinstecken den Schuh! Zwischen die

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