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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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nicht bedacht.)
Wenn du tot bist, Gesine, in die Balsamieranstalt laß ich dich nicht.
    In Tottenville lahme Häuser zusammengedrängt, verfallend, mit Zutaten aus Kunststoff behängt. Eine kleine Schuppensynagoge mit einer Haut aus asbestnen Schindeln. Italienische Keramik auf ausgetrockneten Rasenstücken. Eine lebende Katze, weiß mit tiefgeschwärztem Auge, will gesehen sein, weiß etwas. Kinder auf den Veranden, eine alte Frau sitzt mit einem Buch über ihnen. Schaukeln, Planschbecken in den Hintergärten. Heißer Holzgeruch, Akazienblüte. Eine Liebschaft D. E.s 1949 in Berlin Wannsee, Abende lang neben einem Mädchen auf der Gartentür lehnend im Akazienduft; tagsüber versteckten die kleinen weißen Blüten sich im Blattgrün; 1949 wünschte sie sich von einem Mann mit Schwarzmarktbeziehungen nicht Schokolade oder Schallplatte, sondern eine Badekappe.
Oder leb bei armen Leuten, Gesine.
    Unverhofft ein weites hochgrasiges Feld, wild durchwachsen mit Büschen. Ein Frachtdampfer so dicht am Ufer, als läge er fest auf Grund. Gegen den Horizont von Blattwerk umrissen ein weißer Hausgiebel, ein Walm vor einen fast würfligen Holzkasten gesetzt. Hinter den dunklen Fenstern, in der langen Veranda zum Atlantik hin ist keine Bewegung zu sehen. Ein überwachsener Steig für den Postboten.
Auch dies, wenn du willst.
    An der Raritan-Bucht. Der Name der Raritan-lndianer für die Insel war Aquehonga Man-ack-nang, die Stelle der Hohen Sandigen Bank, und dreimal noch konnten sie die Eindringlinge mit Feuer vom Boden der Delawaren vertreiben. Henry Hudson will das Land am 2. September 1609 gesichtet haben, gleich benannte er es zu Ehren seiner Dienstherren, der Niederländischen Generalstaaten. Staaten Eylandt, 1664 an die Briten verloren. Vier Jahre später hatte der Herzog von York Appetit auf die Inseln in seinem Hafen, und wollte alle davon, die in vierundzwanzig Stunden zu umschiffen waren, und ein Kapitän Christopher Billopp umsegelte Staaten Eylandt von einem Ende zum anderen in der vorgeschriebenen Zeit, belohnt mit 47 von den fast 15 000 Hektar, die er dem Bruder des Königs verschafft hatte. Didos Problem kannte er nicht. In Billopps Haus, hier um die Ecke, trafen sich General Howe nach der Schlacht von Long Island mit einer Abordnung der Aufständischen zur ersten Friedenskonferenz des Revolutionskrieges, ohne Erfolg. William Howe las da die Erklärung der Unabhängigkeit zum ersten Mal und versetzte: Diss is ja von ziemlich entschlossenen Männern unterschrieben.
Euer Mecklenburg war auch gestohlen, Gesine.
    Auf den Sandwegen, mit Wasserlachen bestanden, waren einsame Autos unterwegs, wie verängstigt von Feld und Dickicht, fern von den achtbahnigen Straßen und Hochhäusern. Sumpfgegenden, nicht mehr passierbar wegen Flaschenscherben und Büchsenrost. Eine verfallende Kolonie aus Sommerhäusern. Kinder, die die fremden Fußgänger anstarrten, über das Städtische an dem fremden Kind kicherten. Dicht am Wasser ein Ehepaar saß hilflos im Wagen, bereit wegzufahren. Sieh mal richtiges Schilf. Dies ist Breitwegerich, gut für Schnittwunden. Aus Melde konnte man Suppe kochen. Dies fraßen Kaninchen gern. Ein Rotahorn. Wegewarte, Spitzwegerich. Hirtentäschel konnte man essen. Brennessel war gut als Spinat. Gutes Wetter für Sonnenbrand.
Vergiß nicht, warum ich dir dies gezeigt habe, Gesine.
    27. Mai, 1968 Montag
    Wer Ho Tshi Minh, dem Erleuchteten und Präsidenten, gratuliert hat zum 19. Mai, bekommt nun Post von ihm:
    Mit Achtundsiebzig
    will ich kein Greis sein.
    Stetig auf meinen Schultern ruht
    des Landes Bürde.
    Im Widerstand ungeheure Siege
    gewinnt unser Volk.
    Mit der Jugend marschieren wir.
    Vorwärts!
    © Viet Nam Press Hanoi
    Zeugnis für Alexej Nikolajewič Kossygin, Verwaltungschef der Sowjetunion. Ausgestellt von der New York Times.
    Ein Mann, gutmütiges Äußeres von Vierundsechzig, der das Wasser braucht in Karlovy Vary und mit seiner Enkelin spazierend sich zeigt, kann den Tschechen und Slowaken so Böses nicht wollen. Die harte Valuta aus Moskau, das war der Zuckersack, die Mohrrübe für den Esel. Ein Eingreifen des Militärs, das war der Stock, die Peitsche. Beides hat er nur gezeigt.
    Gewonnen hat er Manöver, die Stärkung der Zensur, das Verbot legaler Opposition.
    Wenn immer noch die Generäle murmeln im Roten Stern von einem amerikanischen Finger in den »inneren Vorgängen«, so muß er vor der Zeit aus der Č. S. S. R. zu ihnen und ist entschuldigt.
    Denn was den Erben Stalins zu

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