Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
erwarten. Gewiß hat sie sich an das Ende gestellt, aber früher. Vor dem Barclay-Hotel ist sie nicht, auch nicht vor dem Waldorf-Astoria. Wie gelb das Haus der General Electric ist, wilde Gotik mit einer löcherigen Krone, darin sitzt ein Wassertopf. Die stillstehenden Menschen beschleunigen das Gehgefühl unvernünftig. Der Kommerz läuft fröhlich umher und schreit Ansteckknöpfe aus, mit der Aufschrift »Zum Gedenken an einen Großen Amerikaner. Robert F. Kennedy. 1925-1968«. Einen könnte man kaufen, für Marie. Das Stück zu fünfzig Cent. Das mag einen Profit von hundert Prozent bedeuten. Hier ist noch einmal ein Eingang zur IRT 51. Straße, die nächste Station ist Grand Central, von da sind es zwanzig Minuten nach Hause. Die Leute sind kaum für einen Trauerfall gekleidet, der kann so wie er ist auf ein Segelboot, so würde diese Dame eher in einem Hintergarten zu vermuten sein. Hier haben wir einen Briefträger, der ist zu oft stecken geblieben in der Prozession, nun ist sogar die Telefonzelle besetzt. – Eine Dreiviertelstunde bin ich jetzt hinter Plan! sagt er zu den Umstehenden, die ihm lächelnd zunicken. So gehört es sich eben in New York, wenn was los ist; auch er wollte ja nur durch solche Anteilnahme besänftigt werden. Wo will die Schlange hin, jetzt wickelt sie sich um den Block des Seagram-Hauses und windet sich südlich die Park Avenue entlang. Die Seagrams verteilen Plastikbecher, zwar nicht mit Whisky, Wasser genügt für die Werbung. Tränen sind nicht zu sehen; die Gespräche mögen nicht fröhlich sein, Munterkeit hält sich. Hier gibt es wiederum die Gedenkensknöpfe, sie kosten schon einen ganzen Dollar, vielleicht wegen der vornehmen Umgebung des Embassy Club und der Chemical Bank von hinten. Wieviel Prozent Profit? Hier wird ein Papierkorb gestürmt, zwei Lehrerinnen wollen für eine ganze Schulklasse Jungen Helme aus Papier machen. So prächtige Türme des Geschäfts, und zu ihren Füßen verstreut das Volk Plastik, Papier, Blechdosen. Immer wenn einer umfällt, beult die Schlange zum Bürgersteig hin aus, hier lehnen zwei Mädchen in zu engen Hosen schlapp gegen die Pfeiler des Karbid-Verbandes. Die Ohnmachten kommen nicht so sehr von der Dampfhitze, als von den Abgasen der Autos. Denn andere New Yorker fahren über die Park Avenue aufs Land, an die See, wenn auch dem Trauerfall zuliebe mit eingeschalteten Scheinwerfern. Hier braucht man für einen Block eine Stunde, wenn man nicht frei neben der Schlange her läuft. Die Polizei hat die Wartenden mit grauen Sperrblöcken gegen Eindringlinge geschützt. Kinder sind viele darunter, fast jeder Dritte scheint nicht volljährig; jedoch ist dies etwa das fünfte Tausend, darin ist Marie zu übersehen. Über den Anlaß spricht Keiner, nicht einmal über die Änderung am Schußwaffengesetz vom Donnerstag. Früher durfte das Versandgeschäft beliebig Pistolen, Revolver, Handgranaten, Mörser frei Haus liefern; neuerdings nur noch Gewehre und Schrotflinten. Auch solches Gewehr, wie es für den anderen Kennedy benutzt wurde. Bankers Trust, die Kommandozentrale von Colgate und Palmolive, das Hauptquartier von International Telephone & Telegraph. An der Ecke, bevor die Schlange nach Westen in die 51. Straße einbiegt, war noch ein Blick nach rückwärts möglich, auf das Haus der PanAmerican, in dem das Vermögen der Kennedys verwaltet wird. An der Madison Avenue leiten Polizisten den Zug wahrhaftig als Spalier über den Damm. An dieser Ecke, in einem kalten Winter, ging auch die Cresspahl einmal, ein Schild vor dem Bauch, immer hin und her vor der Erzdiözese von New York, dem Palais des Kardinals Spellman, der den Krieg so liebte. Hier beginnt die letzte Etappe, die Getränkehändler werden wild. Einer fühlt sich angesehen von einem reichlich zerlumpten Bettler in der Reihe, dem wird er den Erfolgsneid abgewöhnen, eine Zeit lang streckt er die bunten Büchsen immer so, daß sie passieren unter der Nase dieses Durstigen, bis der sich abwendet. Immer wieder steht unter den Weißen ein Puertorikaner, ein Neger, ungefähr jeder fünfte ist von dunkler Hautfarbe. Es sind die, die sich angeredet glaubten, wenn dieser Millionär von ihnen sprach. Was mögen sie ihm zugetraut haben? Unter ihnen tragen die meisten Frauen die Schuhe nicht in der Hand, haben die Männer die Schlipse ganz wenig gelockert. An der Kirche ist die Polizei in Ausflugslaune, läuft beschwingt hin und her zwischen den elefantischen Übertragungswagen der Fernsehanstalten,
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