Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
führt behagliche Gespräche über die Funksprechgeräte, winkt zu den Helikoptern hinauf. Der wahre Herrscher ist ein Kameramann, hoch über allen hängt er vor seinem Gerät in einem Sessel, der sein Gesäß nachbildet. So kurz vor dem Ziel, hier beginnen die Leute sich zu wehren, wenn jemand in die Schlange drängen will, wenn auch nicht mit der Gehässigkeit unheiliger Tage, lieber mit Anspielungen auf die Würde der Gelegenheit, gern in predigendem Ton. Vor dem nordwestlichen Eingang der Kirche hacken Uniformierte mit wortlosen Weisungen der Schlange jeweils fünf, sechs Köpfe ab. Im Inneren ist etwas Goldenes, scharf Beleuchtetes zu sehen. Wenn Marie hier eingetreten ist, hätte sie gern jemand Katholischen dabei gehabt. Sie hätte es richtig machen wollen mit dem Niederknien, dem Bekreuzigen. Auch hier ist sie nicht, sie kommt nicht aus dem Südeingang nach der Viertelstunde, die eine Passage am Sarg entlang dauern kann, und doch hat sie die Mutter oft gesehen, auch jetzt noch, als sie an der grauen Wand der 50. Straße und weinenden Frauen vorbei davongeht in das heiße Licht aus dem Westen.
Marie hat das Haus nicht verlassen. Als das Telefon klingelte, war sie zu Jason in den Keller gegangen und bat ihn um Rat für eine bessere Einstellung ihrer Fernsehantenne. Sie hat den ganzen Weg gesehen von der Lexington Avenue an, die Park Avenue hinauf und hinunter, bis zu der Kathedrale und am Sarg entlang. Dazu brauchte sie nicht selber zu gehen. Sie war nicht da, und hat sogar das Bekreuzigen notdürftig gelernt. Sie war mit dem Fernsehen da. Es ging gar nicht anders, als sie auch heute zu verfehlen.
8. Juni, 1968 Sonnabend
Ein Tag vor dem Fernsehen. Jedoch werden wir ihn nicht ohne Aufsicht verbringen. Als Mrs. Cresspahl anrief bei D. E., mußte Frau Erichson ihn schon vom Auto holen, denn er war bereit zur Abfahrt, auf Maries telefonische Bitte nämlich. Auch das Kind will einen Schiedsrichter.
Hol sie mir zurück. D. E.
Zu dir?
Weg von den Kennedys.
Hat sie solche besessene Freude am Kummer nicht von dir?
Wenn das von mir ist, nimm es ihr weg. Hol sie da raus.
Freie Hand?
Hol sie dir, D. E.
Gegen halb neun hat er seine langen Knochen eingerichtet bei uns, auf einem der Stühle von der Heilsarmee, mit dem Rücken gegen den auch unten leuchtenden Park, gefeit gegen den Verdacht mangelhafter Aufmerksamkeit. Neben sich hat er einen Blechtopf mit acht Unzen Tabak, drei Pfeifen, allerhand Besteck, nun bestellt er einen Liter Tee; er rüstet sich für ein langwieriges Unternehmen. Angezogen ist er eher für das Wochenende im Garten, zu dem er uns nach New Jersey einlud, bis hin zu den Tennisschuhen; mit seiner Miene von verschlafenem Ernst erreicht er verläßlich die Nachahmung eines Professors, dem noch ein lästiger Prüfungstermin nicht zuviel wird. Die Sprache ist Amerikanisch.
Mit seinen Vorbereitungen kriegt er Marie befangen; seine Rolle nötigt ihr die des Veranstalters auf. Sie rückt das Gerät vor ihm hin und her, mit Entschuldigungen wegen des verzerrten Bildes; er nickt ernst. Er mag die Lehrbefugnis besitzen für Physik und Chemie; an der Technik eines solchen Apparats weiß er nichts zu verbessern. – Die Röhre ist übermüdet: stellt er fest, ganz strafender Sachverstand, so daß Marie nickt, kleinlaut. Sie ist nicht imstande, ihm Mutwillen nachzuweisen; dennoch verrutscht ihr das fromme Gefühl. Sie sitzt nun neben ihm, er könnte sie tröstend berühren im Nacken, am Arm, ihm ist es erlaubt; streng hält er an sich, mit Respekt vor ihrer Trauer, und macht ihr die Manier verdächtig, indem er sie darstellt. Sie hat es nicht anders erwartet, als daß er schweigen wird zu den Vorführungen, bald kann sie es nicht aushalten.
Gegen neun zieht sie Luft durch die Zähne, wie gegen plötzlichen Schmerz, denn auf der Scheibe erscheint ein kratziges, verschobenes Bild, in seine eigenen Schatten zerschnitten; es zeigt die Witwe vom Tage, im Moment des Bekreuzigens. Das Gesicht kommt hell und klar heraus in der verhexten Umgebung. D. E. blickt erstaunt auf Marie und erklärt nachlässig: Der Raster, du verstehst. Sie nickt, harmlos und gelehrig. Der Raster. Aha.
Mrs. Cresspahl wäre längst ausgebrochen, zwar gegen ihren Vorsatz, doch auf einen Gewinnpunkt bedacht: Dieser dein Robert Kennedy, der hat das Telefon von Martin Luther King abhören lassen, so ein Justizminister war das, daß du es weißt –! Nunmehr ist sie verhindert, weiterhin pädagogische Fehler zu begehen, sie hat obendrein
Weitere Kostenlose Bücher