Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Juni 1968, den ersten Jahrestag des neuen Krieges zwischen Israelis und Arabern, war von Robert F. Kennedy eine Rede zu erwarten, eine Werbung um die jüdischen Stimmen im Lande, eine Freundlichkeit für die Israelis, die einem Sirhan Bishara Sirhan das Land weggenommen hatten, oder seinen Teil daran. Kennedy sollte sterben, bevor er das sagen konnte?
(Nur warum lassen sie das über die Sender gehen, so daß niemand wird leugnen können, es gehört zu haben? So kriegen sie nie eine unbefangene Jury zusammen in Los Angeles. Wird dies wieder kein Prozeß?)
Spielte Halma mit einer jüdischen alten Dame
Aus diesem Grunde
Nunmehr
Dann trat die erste Kugel durch Kennedys rechte Achselhöhle ein, bohrte sich aufwärts durch Fett und Muskeln und blieb dicht unter der Haut stecken, zwei Zentimeter vom Rückgrat entfernt, in einem Stück.
Die andere Kugel traf unter dem rechten Ohr auf den Fortsatz des Schläfenbeins. Einen Zentimeter weiter rechts, vom Hinterkopf aus gesehen, und das winzige Geschoß wäre abgeprallt. So flog die hohle Spitze der Patrone gegen den ›wabigen, schwammigen Warzenfortsatz‹ und schickte Splitter von Metall und Knochen in das Kleinhirn, in das Mittelhirn, in die rechte Hemisphäre. Das schon durch Sauerstoffmangel beschädigte Gehirn war beeinträchtigt in seinen Funktionen
Balance und Bewegungskontrolle (Kleinhirn)
Sehfähigkeit (Hinterhauptlappen)
Augenreflexe, Bewegung der Augen und des Körpers, Nervenverbindung zwischen Groß- und Kleinhirn (Mittelhirn)
Kontrolle über Herzschlag, Atem, Blutdruck, Verdauung, Muskelreflexe, Emotionen (Stammhirn, ›altes Gehirn‹).
So daß ein Überleben nicht zu wünschen war.
Zum Sterben brauchte er etwas mehr als fünfundzwanzig Stunden. Das Bewußtsein kam ihm nicht mehr. Nach der Operation von drei Stunden und vierzig Minuten liefen die Gehirnströme noch regelmäßig, zwölf Stunden später waren sie nicht mehr aufzeichenbar. Dann mußte er noch sieben Stunden Blut durch das Herz pumpen und atmen. Dann konnte er die Rede nicht mehr halten.
Jetzt müßte man die ganze Sache nur noch schreiben.
Die Boeing 707 der Luftwaffe mit dem Sarg an Bord verließ den Internationalen Flughafen von Los Angeles um 1 : 28 (4 : 28) und wird in viereinhalb Stunden auf dem Flughafen Kennedy von New York erwartet.
In Fremont, Kalifornien, verließen 2400 Arbeiter ein Fließband von General Motors, weil ein Vorarbeiter das Niederlegen der Arbeit verbot mit den Worten, Robert F. Kennedy ›hat bekommen, was er verdient‹. Auf Vorhalt erklärte er seine Meinung mit der Feststellung: ›Alle diese Kennedys sind ––––––––––.‹
Gliederung
Inhaltsverzeichnis ?
Quellen:
New York Times, Jahrgang CXVII , Nummer 40 310 und 40 311
Webster’s International Dictionary of the English Language, 1902
Columbia Broadcasting and National Broadcasting System, Nachrichtenprogramme, Podiumsdiskussionen, medizinische Vorführungen etc. am 6. Juni 1968,
jeweils von 8 bis 18 Uhr
Telefonische Auskünfte von Freunden
Nachtrag: Abendprogramme im Rundfunk
WQXR (Sender der New York Times)
Der Sprecher der Sieben-Uhr-Nachrichten hat Tränen in der Stimme. Die Kommentatoren verwenden Ausdrücke wie ›Tragödie‹ oder ›betrübende Wendung der Ereignisse‹. Mr. Apple liest in einer klapprigen Weise vor, was er noch von R. F. Kennedy erinnert.
Werbung eingeblendet.
General Telephone & Electronics bringen Ihnen mit Rücksicht auf die Tragödie ein musikalisches Programm ohne jede Unterbrechung durch kaufmännische Durchsagen. Sie hören Musik von Michael Haydn
WCBS
21 : 35
Der Sarg ist abgefahren
er ist an der Triboro Bridge
die Beerdigung wird organisiert von einem Fachmann, Mr. McNamara
21 : 40
acht- bis neuntausend Personen stehen an der St. Patrick-Kathedrale
in der Radioluft Sirenen, allgegenwärtig
der Reporter beschreibt seinen Standort, die Leute entlang der Straße, was immer er sieht. Ruhiger Ton, schaukelnd in schweren akustischen Wellen
fast alle der folgenden Wagen sind Staatskarossen
Polizei pfeift
der engste Familienkreis versammelt sich zu einer privaten Besichtigung. Dich haben sie reichlich durchgeschüttelt
die machen das unter sich ab
der Sarg ist im Kasten, Sendung gestorben
bloß Notizen. Jetzt müßte man es bloß noch schreiben.«
7. Juni, 1968 Freitag
Auf der Südseite der 96. Straße, von der West End Avenue her, streichen Arbeiter die Bürgersteigkante an, etwa dreißig Meter lang, bis zur Haltestelle
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