Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
des Neunzehners. Die Männer benutzen Handbürsten, die sie mit doppelten Bändern an Besenstielen befestigt haben. Sie hantieren gelassen vor sich hin, nicht ohne Genuß an ihrem Sachverstand, nun werden sie bald Fuffzehn machen. Dave Brubeck, Take Five. Die gelbe Farbe glänzt in der Sonne, appetitlich frisch. Muß alles sein. Nur wissen wir ein Kind, das begreift es nicht.
Ob Marie wohl weiß, daß solch Fernsehapparat gern implodiert, wenn sie heute wieder zehn Stunden lang davor sitzt mit ihrem Schulheft?
Am Kiosk sind die Zeitungen wieder höher gestapelt als zu gewöhnlichen Zeiten, an dem Sperrholzverschlag um das abgebrannte Haus liegt Nachschub, der ist schwerlich auszurechnen. Die Leute stehen von Süden her an vor dem Verkäufer, die von Norden kommenden folgen begriffsstutzig ihrer Gewohnheit, rasch die oberste Zeitung wegzugrapschen und mit der anderen Hand den Zehner abzuliefern. Heute morgen sind die krüppligen Finger schon mit anderem Geld beschäftigt, die Zeitungen aufgeteilt in freizügige und solche für Vorzugskunden, stell dich ja als fünfte an.
– Du, meine Liebe! sagt der alte Mann, streng, als tadle er einen Fehler. Der will heute mit dir sprechen, du. – Du wirst dich bei mir nicht noch ein Mal hinten anstellen! Sind wir Freunde oder was?
Die Kunden in der Reihe hören geduldig, ja billigend an, daß der Alte ein Verhältnis pflegt zu dieser Dame und es obendrein ausspricht. Heute scheint Vorführung von Gefühlen erlaubt, auch die von ganz neuen.
In der Subway stehen weniger Fahrgäste auf dem Bahnsteig, ist doch Arbeitstag, sie kommen fast ohne Gedränge in den Wagen, und wen haben wir denn hier? einen schweren alten Neger mit gichtkrummem Rücken, der bietet einer beliebigen Weißen seinen Sitzplatz an. – Du hast es auch nicht leicht: sagt er. Ist dies noch New York?
Unter dem Times Square ist die Stadt wieder ähnlich, so dick ist das Gedränge zusammengekocht. Auf der Lexington Avenue gehen die Leute Schulter an Schulter, wie in gemeinsamem Marsch. Hier ist das Sonnenlicht klein geschrumpft. An manchen Ladentüren hängen Schilder und erklären sie für zu, andere Kaufhäuser kündigen mit Plakaten eine zeitweilige Schließung für morgen an und bringen sich der Kundschaft so dennoch in geschätzte Erinnerung. In einer Seitenstraße zwinkert eine junge Westinderin, in eleganter Hemdbluse, mindestens von Bloomingdale, die führt ihre bürstendicken Augenbrauen und Stangenbeine vor, die hat auch Geschäfte zu besorgen.
Vom Eingang des Restaurants bis zu Sams Theke sind es zwanzig Meter zu gehen, Sam annonciert der Küche schon beim Blick auf die Tür: Großen schwarzen TEE ! so daß er zwei Minuten später die Tüte herüberreichen kann. Inzwischen will er wissen, wie es ist. – Mit mir erst! Ich will ja, ich kann nicht! sagt er und meint die schickliche Rührung, die er nicht aufzubringen vermag. – Mann, Gesine, wird das ein Tag!
Denn die Bank arbeitet. Allerdings mochte unser angeblich verehrter Vizepräsident es nicht bewenden lassen mit schlichter Anordnung, in einem Memo hat er das Offensichtliche erklärt: es ist dies Freitag, regulärer Zahltag für die meisten Lohnempfänger der Stadt, die Schecks müssen sämtlich raus vor dem Wochenende; für alle Abteilungen, de Rosny. Er hätte hinzufügen dürfen: im übrigen habe ich in dieser Sache die Unterstützung der Handelskammer. Gehorsam mögen die Angestellten in den unteren Stockwerken Scheine zählen, Münzsäcke wiegen, Konten prüfen oder bloß gedachtes Geld auf den Tabulatoren durch die vier Rechenarten klimpern; im sechzehnten Geschoß werden auf das unverschämteste Zeitungen gelesen. Sie sind fleißig, die ihrem Brotherrn das Gehalt zwei Wochen stunden, sie haben schon längst die Mitte aufgeschlagen, wo die Kennedy-Berichte von Seite 1 fortgesetzt werden. Mrs. Lazar soll die Abteilung mit Leib und Leben verteidigen, sie blickt kaum auf, sie muß die Blätter in einer verärgerten, lehrerhaften Art hin und her reißen. Hier haben wir Henri Gelliston, der das Bankgeschäft für die einzige irdische Wissenschaft ansieht, jetzt prägt er sich mit erstaunter Miene die Überschrift ein: Eine Maschine des Weißen Hauses flog die Leiche von Los Angeles her. Gleich wird er wissen, daß der Leichenwagen dort blau war und Mrs. John F. Kennedy auch beim Besteigen jenes Flugzeuges sich den Vortritt nicht nehmen ließ. Von Wilbur N. Wendell aus können die Finanzgeschäfte Südamerikas samt und sonders ersticken unter
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