Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
überhand nimmt. Kauerte da in einem Abstand, nicht etwa um sich einzumischen in das Gespräch. War Jakob also aus Pommern? Gesine wußte das längst, auch das Dorf, und daß es an der Dievenow gewesen war. Aber manche Kinder fragen dann noch nach der Insel Usedom. Dann nützte es Jakob also gar nicht, daß die Polen die nicht hätten nehmen mögen? Das nutzte ihm nicht. Am Ende werde Jakob wohl bleiben in Mecklenburg? Da halten manche Leute die Luft an, bis er sagt: Wi weitn dat nich; und wie anders soll man seine Enttäuschung, das tief durchfallende Gefühl verbergen als mit der Frage, ob Jakob wohl Podejuch kenne. Podejuch in Pommern. Jakob war der Name Podejuch unbekannt. Wer dann nichts weiter weiß, muß weggehen aus dem Gespräch, hat am ganzen Leibe eine Schlacht verloren, fühlt sich krumm.
Und die Erwachsenen nahmen Jakob für sich, so daß ein Kind von ihm gar nichts hatte! wenn es denn solche Kinder gab. Jakob war ja die Zeitung im Haus. Wenn Jakob sagte, daß die Deutschen in Lübeck ihren Strom benutzen durften, wenn auch nur für den Betrieb von Rundfunkapparaten, so war daran nicht gut zweifeln. Womöglich war er durch die Demarkationslinie gegangen. Jakob sagte: Stettin sei kaputt, und nicht mehr als vierzigtausend Deutsche würden die Polen bleiben lassen; dann war Stettin in Trümmern und nur noch von vierzigtausend Deutschen bewohnt; es half gar nichts, wenn ein Kind ihn dann etwas tückisch nach der Hakenterrasse fragte, denn sieh an, die kannte er doch. Saß ein wenig verschlafen da, gutmütig, etwas schleierige Augen, zu viel dunkles Haar, fiel fast nicht auf. Offenbar kam er auf die Art so viel umher. Oder wußte er seine Sachen aus den Zeitungen? es gab doch gar keine.
Nicht lange später, und Jakob saß einmal am Mittagstisch in Cresspahls Haus, wohin er ja gehörte, und fast nie kam der Mensch nach Jerichow. Jakob sagte etwas über Nüsse. Wann so Walnüsse wohl reif seien.
Bis so ein Kind dann aus der Küche gehen darf, ohne den Tisch umzureißen oder die Tür mitzunehmen!
Hoch oben in dem Schwarzhandelsbaum, nicht etwa im anderen, fand Gesine Cresspahl ein Stück Papier an einen Ast gebunden. Es war kein Papier. Es war eine Zeitung! das Nachrichtenblatt der Britischen Militärregierung, herausgegeben zu Lübeck von der 21. Heeresgruppe. Es war wahrhaftig eine Zeitung, sie trug einen Preis aufgedruckt.
Gesine Cresspahl hätte am liebsten geglaubt, Jakob sei ihretwegen durch den Travekanal oder den Dassower See nach Lübeck geschwommen. Es war zu viel; gewiß hatte er da Geschäfte gemacht.
Aber ein Geheimnis hatte Cresspahls Tochter nun mit ihm, sie als einzige. Und als Cresspahl abends auch einmal Nachrichten aus Lübeck lesen wollte, stritt sie ihm ins Gesicht hinein ab, daß sie von einer Westzeitung je gehört hatte.
Und wieder hatte Jakob sie verraten an die Erwachsenen, denn Cresspahl sagte: Es sei eine Heimlichkeit, und ob sie noch einmal schweigen könne, und das Ding sei im rechten Walnußbaum, Ast fünf östlicher Richtung, Oberkante.
– Ist es so, wenn man verliebt ist, Gesine?
– Mir ging es so.
– Ist es erblich?
– Genierst du dich für mich, Marie!
– Nein. Tatsächlich, nein. Nur würde ich es vielleicht anders anstellen.
– Tu das.
– Soll ich dir dann Bescheid sagen?
– Das wirst du nicht tun.
– Weil du als Kind so warst, muß ich –
– Nein. Deswegen nicht. Du bist frei, unabhängig, nicht weisungsgebunden und all das.
– Fühlten die Britischen Nachrichten sich naß an?
– Im Wasser waren die nicht gewesen.
– Gut. Und was stand überhaupt drin?
– Nicht eben viel. Was ich vergessen habe. Und daß Ende Juli 1945 ein Flugzeug gegen das Empire State Building gestoßen ist.
– Ein Flugzeug? Gesine!
– Ein B 35-Bomber, und zwar rammte er das 79. Stockwerk eines Gebäudes, damals das höchste der Welt. Empire State Building, 350 Fünfte Avenue, zwischen der 33. und 34. Straße. Jedem verbrieften New Yorker wohl bekannt.
– Du willst Jakob anbinden an New York, und wenn es eine Zeitung sein muß.
– Wenn ich ihn haben will in New York, nehm ich dich.
– Danke dir für die Nachricht.
– Den Bomber vom Typ B 35?
– Daß mein Vater wußte, daß der Spitzname des Staates New York Empire State ist. Und daß wir hier ein Haus haben mit 102 Stockwerken.
– 101, nach seiner Zählung.
– Ja. Und entschuldigen will ich mich auch.
– Nein.
– Doch. Ich war seit Sonnabend nicht verträglich.
– Doch.
– Nein. Ich habe
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