Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
Vom Netzwerk:
sondern mit Essen und Trinken und Schlafenlassen und dem Versprechen von Weizen im Winter. Sollte Cresspahl eine Naturalsteuer einführen?
    Frau Köpcke, Bauunternehmung, trat die Schuld der Stadtkasse gegen Frau Köpcke ab an die Stadtkasse, zu verrechnen gegen Steuerforderungen der Stadt und des Reiches, vorläufig bis zum 3. März des Jahres 1946. Sie habe diese Zahlungen als jeweils geleistet abgebucht. Cresspahl unterschrieb. Erhalt eines Zaunes sowie bargeldlos Steuern bestätigt.
    Es gab noch einen nächtlichen Streit mit K. A. Pontij. Pontij stellte sich auf die Seite des Deutschen Reiches und erklärte alle Verpflichtungen gegen dasselbe für gültig über den Tag hinaus, da das Deutsche Reich vor ihm und den westlichen Alliierten kapituliert hatte. Die Sperre der Banken und Sparkassen habe keinen Einfluß bürgerlich-rechtlicher Natur. Mit bürgerlichem Recht sei es vorbei!
    Cresspahl wollte die Rote Armee also ansehen als eine höhere Gewalt, die die Geldinstitute zahlungsunfähig gemacht habe.
    Pontij fiel nicht darauf herein und entließ seinen Bürgermeister mit dem Befehl, die Hundesteuer durchzusetzen. Possierliche, anhängliche Tiere, die Hunde. Nicht wahr? Strafe bei Unterlassung des Anmeldens. Pro Hund! Sagen wir: 150 Reichsmark.
    Cresspahl strich die Körperschaftssteuer. Es gab solche Körperschaften in Jerichow nicht mehr.
    Dann griff er in den Barbestand der Raiffeisenbank und zahlte den Beschäftigten bei Krankenhaus, Gaswerk, Müllabfuhr den Lohn, den er ihnen seit drei Wochen (»seit den Russen«) schuldig war. Er ließ aber den Betrag anteilmäßig abbuchen von den Restguthaben der Gutsbesitzer, deren Konten nicht einmal gesperrt waren, sondern wegen ihrer Abwesenheit noch einmal.

    – So ein Bürgermeister steht immer mit einem Bein im Gefängnis.
    – Ja, Gesine. Ja-a. Aber dein Vater war kein Halunke. So wie John-Vliet-Lindsay: sagte Marie. Das war gestern. Sie wollte keine Tröstung, und Cresspahls Annäherung an den Sozialismus verfing bei ihr nicht.
    29. April, 1968 Montag
    Nach wie vor muß um halb neun vom Riverside Drive weggehen, auf wen die Arbeit in Stadtmitte wartet, aber die Sonne geht anders auf. Die Umstellung auf die Sommerzeit hat sie wieder weit nach links gerückt, so daß sie wie vor sechs Wochen herunterblendet von ihrem Oberhalb. Die Sohle der 96. Straße jedoch war tief verschattet, und richtig meldete die verlorene Stunde noch das Gefühl von Frühe im Schatten.
    Wenn das Cresspahlsche Kind aufwachte, war die Julisonne schon um das Haus, und der Schatten hatte die Stube kühl gemacht. Es war aber so früh, daß die Leute im Haus noch nicht zu hören waren, und die Kommandantur schräg gegenüber schlief erst recht. In der Stille im Schatten kletterte Gesine aus dem Fenster und beschlich Hof und Haus nach Spuren von Jakob.
    Leicht ließ er sich nicht finden; unverhofft stand er, wo eben noch nichts gewesen war.
    Es war verzweifelt, nach ihm zu suchen, und eine Zwölfjährige hat nun noch ihren Stolz. Jakob war nicht in Jerichow. Er hatte sich mit seinen Pferden vermietet, in einem Dorf ganz weit im Westen, dahin waren Stunden zu gehen. Zwei offene Fenster neben der Haustür waren ein gutes Zeichen, Jakobs Mutter hielt sie nachts zu, trotz des Tabuschildes am Haus. Da geht Gesine Cresspahl vorbei, fast ohne einen Seitenblick; sie ist auf dem Weg zur Pumpe. Es ist auch nichts dabei, wenn sie auf den Hof hinausgeht, jeder Zoll eine Spaziergängerin, sie kann sich beiläufig umdrehen und prüfen, ob der Schornstein raucht, ein noch besseres Zeichen. Denn so früh kocht niemand als Jakob. Davon wacht aber Cresspahl auf und tapst auf Strümpfen (um kein schlafendes Kind zu wecken) zur Küche und hilft Jakob Kaffee trinken. Da könnte auch die Tochter des Hauses in die Tür treten und sich an den Tisch setzen, sie hat ein Recht auf ein Frühstück. Aber es fiele auf, es ist zu früh, das erste Essen bekommen die Kinder im Haus von Jakobs Mutter, und Cresspahl wie Jakob sprachen anders, als sie doch einmal dazukam, nur mit ihr. Als ob sie nicht erwachsen wäre. Jakobs Jahrgang 1928 und der eigene, es kommt immer die gleiche ärgerliche Zahl heraus. Ganze fünf Jahre. Da kann man im Schatten neben den verrotteten Bienenstöcken sitzen und rechnet nach Jahren, und unverhofft steht Jakob an der Pumpe und nimmt das Handtuch vom Hals. Wie konnte er so leise gehen auf bloßen Füßen! (Auf dem Weg von der Hintertür lag scharfer Kies, vor Jahren von Cresspahl geschüttet, damit

Weitere Kostenlose Bücher