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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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zerschlagen war (wie es nach wie vor eine »Deutsche Reichsbahn« gab, die zwar für Deutsche nicht fuhr). Cresspahl hatte Niemanden zum Einziehen der Rückstände, Leslie Danzmann mußte doch auf jeder Karteikarte einen Mahnzuschlag von fünf Prozent der Schuld ausrechnen, rückwirkend bis in den reichsdeutschen März und Februar hinein. Die Bürgermeisterei konnte das anschlagen, in unverschämten Fällen auch Formulare schicken; damit kam die Stadtkasse bei Schuljungen in die Kreide mit Botenlohn, »Hitlers Steuern für Stalin« gingen nicht ein. Da die Stadt kein Geld hatte, konnte es nur in den Taschen der Bürger sein, überdies hatte es im Zeitalter des Tauschhandels nicht einmal Wert, aber die Bürgerschaft beharrte in einem trotzigen Selbstverständnis, das sie zu Untertanen der Sowjets machte und nicht zur Gemeinde Jerichow.
    Leute wie Peter Wulff gaben der Stadt eine Vollmacht, die Steuern vorerst von ihren Bankkonten abzubuchen. Aber die Bankkonten waren gesperrt, und niemand durfte über sie verfügen, Cresspahl nicht und nicht die Eigner, K. A. Pontij eingeschlossen.
    K. A. Pontij befahl, den Jerichowern zusätzlich fünf Prozent der einbehaltenen Gelder als Strafzinsen abzufordern. Jetzt konnte Leslie Danzmann mit Zehnerzahlen rechnen, und es ging ihr leichter von der Hand. Es blieb auf dem Papier, und K. A. Pontij befahl, »exekutiv« in das Vermögen der Säumigen einzugreifen, wenn sie Bares nicht hergaben. Cresspahl ließ sich das Wort erklären.
    Der Herr Stadtkommandant meinte damit die Beschlagnahme von handelsfähigen Gegenständen: Maschinen, Motoren, Werkzeug. Dergleichen.
    Cresspahl hatte den Verdacht, mit dem Verlust der Produktionsmittel werde die Arbeit auch wegfallen, mithin das Steuerbare. K. A. Pontij beugte sich seufzend vor der Allmacht des dialektischen Materialismus, und er befahl, solche Gegenstände zur Arbeit in den Händen der Besitzer zu belassen, nicht aber in ihrem Eigentum.
    Der Bürgermeister konnte ihm nicht verständlich machen, nur noch ankündigen, daß somit die Arbeit erst recht ausbleiben würde. Pontij war einverstanden, die Arbeit zu befehlen. Manchmal lachte Cresspahl doch, das sah aus wie ein hustender Ruck in den Schultern, und Pontij seufzte. Ein fremdes Land, dieses Mecklenburg.
    Nu – karascho. Befehl, Hausbesitz zu enteignen. Ganz, oder teilweise.
    Damit entfielen Verpflichtungen zur Zahlung von Grundsteuer.
    K. A. Pontij reckte sich in seinem Sessel, als wolle er das Problem erschießen lassen. Es war ehemals Papenbrocks Kontorstuhl gewesen, und über Pontijs blankem Schädel waren zwei Intarsienlöwen ineinander verklammert. Er sah sich streng um nach seinem Unterleutnant, damit der die Hand von der Pistolentasche nahm. Dann gab er Cresspahl den Befehl, Steuerschulden durch Enteignung an Immobilien festzustellen. Zur Strafe und Anschauung. Nun zu Frieden, Burgmister?
    Cresspahl trank den Schnaps, der das gegenseitige Einverständnis bedeuten sollte (Pontij hatte auch schon die Mauser auf den Tisch gelegt, damit sein Bürgermeister trank), mit Zufriedenheit konnte er nicht zurückgehen zum Rathaus. Denn viele, fast die meisten der Häuser in Jerichow hatten dem Adel des Winkels gehört, es waren nur wenige davon nicht nach Westen gezogen, und die bezahlten nicht Grundsteuer nach Jerichow. Wer aber Jerichow nach dem 8. Mai 1945 verlassen hatte, dem war das Eigentum vorläufig zu Gunsten der Stadt beschlagnahmt, und endgültig, wenn er nicht binnen eines Jahres zurückkam. Gewiß besaß die Gemeinde nun eine Menge ihrer Häuser selbst, aber die Steuer darauf hätte sie an sich selbst zahlen müssen, und besaß das Geld nicht.
    (Die Bürgermeisterei hätte die Miete an ihrem Eigentum erhöhen können. Mieterhöhungen waren streng verboten. Und die Gelder für Pacht und Miete bewahrten die Jerichower für die geflohenen Eigentümer auf, rechtlich wie sie auch hier dachten, und die Stadtkasse bekam nichts.)
    Cresspahl führte eine monatliche Zahlung der Lohn- und Umsatzsteuer ein, statt der vierteljährlichen. (Hiermit befiehlt die Kommandantur, daß ein Notstand herrscht.)
    Nun war aber Jerichow die Werkstatt gewesen für das Land um Jerichow, von der Stadt bekam das Handwerk nicht genug Arbeit. Die Güter und Dorfbezirke des Winkels, jetzt unterteilt in selbständige Kommandanturen, zahlten mit Naturalien, wenn sie denn Aufträge nach Jerichow vergeben konnten (oder durften). Die Ackerbürger der Stadt entgalten ihren Knechten das Arbeiten nicht mit Geld,

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