Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl
sein Kind das Barfußgehen wieder ließ.) Die Narbe an Jakobs Hals war zugeheilt, aber sie sah weiterhin roh und rot aus, und Gesine Cresspahl genierte sich sehr. Sie hoffte noch versteckt zu sein, da rief er sie schon. Da steht man als Kind an der Pumpe und muß einem achtzehnjährigen Erwachsenen Wasser über Hals und Kopf schwengeln und macht ein Gesicht voll Unterdrückung und Mißbrauch. Da Jakob aber nicht danke sagte, sondern nickte, konnte das Kind nicht sagen, es verbitte sich den Dank! Dann ist er gegangen, und man hat ihn nicht einmal nach dem Rotfuchs fragen können, und alles ist so falsch, man hätte ihn am besten gar nicht gesehen.
An einem Wochenende, spät und fast abends, saß Gesine Cresspahl hoch oben in einem der Walnußbäume vor dem Haus. Keine Sorge, sie hatte da oben Geschäfte. Man kann da mit einem Messer etwas in die Rinde schneiden. Oder, wenn sie in der Spitze fast oberhalb des Firsts hockte, konnte sie die Dachziegel zählen. Oder die zu stark bemoosten. Oder nach einem angebrochenen suchen. Ganz und gar nicht war sie da in dem Baum, weil sie da nach Westen sehen konnte, ohne daß sie Einer sah. Da traut man seinen Augen nicht, wenn da ein Strich ist am Horizont, zitternd vor der untergehenden Sonne, und einen Atemzug später ist der Feldweg ganz unbelebt. Er konnte auch aus dem Wald kommen, an der kahlen Stelle, wo er die Rehberge heißt. Dazu muß man aber in die Krone, wo sie gefährlich dünn ist, und der schwankende Baum verrät ein Kind, das zu listig ist dafür. Sie war nun doch entschlossen, in einer Gestalt an der Ecke des Russenzauns einen Fremden zu vermuten, nicht Jakob, da hörte sie seine Stimme. Sie erschrak so, ihr rutschte ein Fuß ab, mit einem schartigen Geräusch. Das konnte recht wohl ein Vogel gewesen sein. Nur sie fand Jakob nicht. Die Absschen Fenster standen offen, aber eingeengt hörte er sich nicht an. Leise, aber als sei er auf dem Hof. Der Platz war leer. – Dewjatnatzatj: sagte die Stimme, und sie sah unter sich am Stamm des Baumes den Rotarmisten Wassergahn hocken. Der schüttelte den Kopf und fing eine lange Geschichte an mit poslednij djen. – Njeujasno: sagte Jakob gemütlich, und nun sah sie ihn auch. Er hockte da wie Wassergahn, beide mit Blick auf das Obergeschoß der Villa über dem grünen Zaun, offenbar gar nicht mit Handeln beschäftigt, sondern mit Freundschaft zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk. Sie sah da aber eine Faust voll blauweißer Scheine, das Alliiertengeld, keiner in Jerichow wollte das in Zahlung nehmen, Jakob steckte es in den Hemdsärmel. (In den Hemdsärmel.) Nach einer zu langen Zeit reckte Herr Wassergahn sich und stakte auf das grüne Zauntor zu, wo er hingehörte, und Jakob blieb unter dem Baum hocken. Er sah nicht nach oben, beileibe nicht, aber er ruhte sich da aus, bis Cresspahls Tochter ganz steif war vom Stillsitzen auf anderthalb Ästen.
Nachts wohnte sie wieder im Baum, und richtig kam Einer aus dem Haus, der klirrte leise. Offenbar war es ein ganz dicker Mann, denn er ging wie auf Eiern, und hatte unmäßig gefüllte Hosenbeine. Dieser Unbekannte blieb an Gesines Baum stehen und packte ihn in einer Art, daß die oberen Äste wahrhaftig ein wenig schütterten. Und sagte mit Jakobs Stimme, selbstvergessen, genußvoll, vorfreudig: Wann solche Nüsse wohl reif sind.
Rotwerden kann man fühlen, das lernen Manche schon als Kinder, und sei es in einer fast finsteren Nacht.
Und er zog Hanna Ohlerich vor, es war eindeutig. Wohl, weil sie ein paar Monate älter war. Wahr, er brachte auch Gesine ein Ei mit, aber ihr legte er es hin, und Hanna gab er es in die Hand. Sie konnte so beiläufig sagen, daß Jakob auf dem Hof sei, sie wußte es schon seit einer halben Stunde, sie hatte womöglich mit ihm gesprochen, und sie war es doch nicht, der wartete! Neben einer solchen Hanna mußte man nachts liegen, und so breit das Bett war, der Abstand war nie groß genug. Die schlief ja, die dachte nicht nach über … Leute in der Nacht, die klirren wie Glas. Hanna saß ja mit ihm auf der Milchbank und fragte ihn aus! als wär das nichts. Zwar sagte er zu ihr: Kind, und nannte das Cresspahlsche beim Vornamen. Weil Hannas Eltern tot waren. Sie erzählte ihm von ihrer Maschinistenzeit auf See, und dabei war es nichts als die Ostsee gewesen, die überschwemmte Wiese, und den Motor des Kutters hatte sie nicht anders anfassen dürfen als zum Putzen! Da muß ein anderes Kind sich dazuhocken, damit die Aufschneiderei nicht
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