Jahrestage 4. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Korruption im Staat könne die eigenen Bedürfnisse an Bargeld auch bedient haben, oder gar auf die Verbreitung des Lateinischen durch die christliche Mission in Westeuropa; der war einmal böse hereingefallen in Geschichte; strafversetzt aus Schwerin. Der wäre in einem Herzanfall verflattert, hätte eine Abordnung der Klasse ihn ersucht, die eigene wohlerwiesene Sittlichkeit zu benutzen zu einer Unterweisung über die Unsitte, daß einer der Schüler sich merkt und meldet, was die Kinder um ihn so schwatzen bei Betriebsbesichtigung in Gaswerk oder Brauerei. Der sehnte sich dem Ruhestand entgegen, einer Muße für die Abfassung einer ureigenen Monographie über die Schelfkirche zu Schwerin. Wer dem stille Rede stand über den ablativus absolutus, dem gab er eine Eins für den Abgang; aus Dankbarkeit für die Schonung.
    In Englisch eine Eins für die Abiturientin Cresspahl von Hansgerhard Knick, der diese Sprache mit Hilfe von Schallplatten erlernt hatte und sie zu sprechen glaubte, nachdem er noch einmal in kurzen Hosen zu den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1951 nach Berlin gereist war, als Dolmetscher für eine Gruppe sozialistisch gesinnter Mädchen aus England von diesen nachsichtig behandelt. Wenn der Cresspahl aus ihrer Beschäftigung mit Th. Dreisers »Sister Carrie« ein conductor statt des guard für den Schaffner in die Rede rutschte, er versuchte anfangs sich an einem Verweis, gab sie bald auf. Auch war diese Schülerin ein wenig geschützt durch ihr Vorhaben, an einer Universität zu studieren, was er hätte nachholen dürfen; außer dem durch eine Hinterlassenschaft des freien deutschen Jungen Lockenvitz, der die Frau Knick aus der verlorenen Heimat kannte, eine vermögliche Bürgerstochter, keine Tochter von Arbeitern und Bauern, wie sie sich gehörte für einen Englischlehrer, der möchte von der Einheitspartei angenommen werden als Kandidat.
    In Russisch eine Zwei im Abschlußzeugnis für G. Cresspahl vornehmlich wegen Teilnahme an der Verschwörung, einer jungen Volkslehrerin mit dem Namen von Bülow beim Erlernen dieser Sprache bis zu einer Lehrbefähigung behilflich zu sein. Die war ängstlich genug wegen ihrer adligen Herkunft, die psychologischen Auskünfte ihrer Lehrgänge verwirrten sie wegen ihrer Abweichung vom Benehmen einer Zwölf A Zwei in Mecklenburg. Der Unterricht im Russischen wurde demnach verwaltet von Anita. Ein Opfer. Denn auf dem Lehrplan stand Stalins Versuch »Über dialektischen und historischen Materialismus«, wo es wimmelt von »Ferner … Also kann … Also darf … Also hört … Also verwandelt … Also muß … Ferner …«; danach des gleichen Autors Abhandlung über »Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft«. Was slushaju. Keiner von uns hätte damit auch nur eine Nagelschere kaufen können in Kiew oder Minsk. Nach Hamburg ging diese Eva von Bülow am Ende des Schuljahrs 1951/52; da dolmetscht sie nun im westdeutsch-sowjetischen Handel in Schiffbau und Stahl.
    In Musik eine Zwei, bei Julie Westphal. Weil die Schülerin Cresspahl es zufrieden war, zu verbleiben im zweiten Alt; so mit Freizeit versehen, wenn der ausgewählte Schulchor übte für die sommerlichen Vortragsreisen in die Ostseebäder, mit Zeit für Ferien ohne Aufsicht. Auch weil der Fachkraft Westphal zugetragen war durch den Kandidaten Manfras, die Schülerin Cresspahl habe eine ihrer Lehrmeinungen als dumm Tüch bezeichnet; das meinte Julies Befund, es müsse das Lied vom Mond, der aufgegangen ist, verschwinden aus der demokratischen Musikpflege, nämlich wegen der darin enthaltenen Bitte, auch unser kranker Nachbar möge ruhig schlafen dürfen: da solche Fürsorge die ideologische Wachsamkeit des klassenbewußten Menschen unterhöhle, indem der Nachbar durchaus ein getarnter Volksfeind sein könne, den ruhig schlafen zu lassen ein Vergehen wäre. Des weiteren, weil die Schülerin Cresspahl zwar anhörte und aufsagte, was Frau Westphal vortrug über die kosmopolitischen, reaktionären Nationalisten und Feinde der Sowjetunion, als da anzuführen wären die Komponisten und Musiker Paderewski, Toscanini, Strawinskij; danach von der Lehrerin eine Vorführung solcher schändlichen Eigenschaften im Werke der Verfemten erbat, so mal paar Takte am Klavier, Frau Westphal; daß man eine Ahnung bekäme.
    In Biologie/Chemie eine Eins von einem ältlichen Männchen. Eine Tante wie die für Latein, nur eben dicklich, kugelig. Bei dem bekamen wir in der Zehnten jenes Stück Unterricht, in dem Kindern die