Jahrmarkt der Eitelkeit
Hörner hatten alle aufgeweckt, es war also nutzlos, noch etwas zu verheimlichen. Georges Diener packte in diesem Raum, und Osborne kam öfter aus dem anstoßenden Schlafzimmer, um dem Diener die Sachen zuzuwerfen, die er mit ins Feld nehmen wollte. Bald erhielt auch Dobbin die so heiß ersehnte Gelegenheit, Amelias Gesicht noch einmal zu sehen. Aber welch ein Gesicht! So weiß, so wild und so verzweifelt, daß ihn die Erinnerung daran später wie ein Verbrechen verfolgte, und der Anblick erfüllte ihn mit unaussprechlichen Qualen von Sehnsucht und Mitleid.
Sie war in ein weißes Morgenkleid gehüllt, ihr Haar fiel auf die Schultern herab, und ihre großen Augen waren starr und glanzlos. Um bei den Vorbereitungen zum Abmarsch nicht müßig zu sein und um zu zeigen, daß auch sie in einem so kritischen Augenblick sich nützlich machen könne, hatte die arme Seele eine von Georges Schärpen von der Kommode genommen. Mit dieser Schärpe in der Hand folgte sie ihm bald hierhin, bald dahin und sah stumm dem Packen zu. Sie kam heraus und lehnte sich an die Wand. Die Schärpe drückte sie an ihren Busen, so daß das schwere karmesinrote Netz wie ein riesiger Blutfleck herabhing. Ein Schuldgefühl durchschoß unseren sanftmütigen Hauptmann, als er sie so stehen sah. Guter Gott, dachte er, diesen Schmerz habe ich zu belauschen gewagt? Aber es gab keine Hilfe, kein Mittel, diesen hilflosen, stummen Kummer zu lindern. Er stand einen Augenblick da und sah sie an, ohnmächtig und mitleidzerrissen, wie ein Vater ein leidendes Kind ansieht.
Schließlich ergriff George Emmys Hand und führte sie in das Schlafzimmer zurück, aus dem er allein wieder heraustrat. In diesem kurzen Augenblick hatten sie Abschied genommen, und er hatte sich entfernt.
Dem Himmel sei Dank, daß es vorüber ist, dachte George, als er mit dem Degen unter dem Arm die Treppe hinunterstieg. Und während er zum Sammelplatz lief, wo das Regiment gemustert wurde und wohin Soldaten und Offiziere aus ihren Quartieren eilten, schlug sein Puls heftig, und seine Wangen röteten sich: das große Kriegsspiel sollte nun beginnen, und er war einer der Mitspielenden! Welch fieberhafte Aufregung, bestehend aus Zweifeln, Hoffnungen und Freuden! Was für ein Wagnis um Verlust oder Gewinn! Was waren alle Glücksspiele seines Lebens im Vergleich mit diesem? An jedem Wettkampf, der Körpergewandtheit und Mut erforderte, hatte sich der junge Mann seit seinen Knabenjahren mit allen Kräften beteiligt. Er war der Champion der Schule und des Regiments, und überall folgten ihm die Hochrufe seiner Schulkameraden. Von dem Kricketspiel der Knaben bis zu den Garnisonswettrennen hatte er hundert Triumphe gefeiert. Wo er ging und stand, hatten Frauen und Männer ihn bewundert und beneidet. Welche menschlichen Eigenschaften werden so häufig mit Beifall belohnt wie körperliche Überlegenheit, Tatkraft und Mut? Seit undenklichen Zeiten sind Körperstärke und Mut Themen von Barden 1 und Liedern gewesen. Und seit der Sage von Troja bis auf diesen Tag hat die Poesie stets einen Krieger zum Helden erkoren. Ich möchte wohl wissen, ob die Menschen auf Grund einer heimlichen Feigheit die Tapferkeit so sehr bewundern und kriegerische Großtaten so viel höher einschätzen und besser lohnen als jede andere Eigenschaft.
George riß sich also bei den Tönen des erregenden Schlachtrufes aus den zarten Armen, in denen er getändelt hatte, nicht ohne ein Schamgefühl (obgleich seine Frau ihn nicht sehr stark gefesselt hatte), daß er sich so lange hatte darin zurückhalten lassen. Dasselbe Gefühl von Eifer und Aufregung hatten alle seine Freunde, die wir gelegentlich kennengelernt haben, angefangen von dem untersetzten Major, der das Regiment in den Kampf führte, bis zu dem kleinen Stubble, der als Fähnrich an diesem Tage die Regimentsfahne zu tragen hatte.
Die Sonne ging eben auf, als sie losmarschierten – es war ein prachtvoller Anblick: voran die Musikkapellen mit dem Regimentsmarsch, dann der kommandierende Major auf seinem kräftigen Schlachtroß Pyramus, dann folgten die Grenadiere, mit ihrem Hauptmann an der Spitze. In der Mitte die Fahnen, getragen von den älteren und jüngeren Fähnrichen, George marschierte an der Spitze seiner Kompanie und blickte lächelnd zu Amelia auf. Dann war er vorüber, und auch die Musikklänge erstarben.
Fußnoten
1 im Mittelalter an irisch-keltischen Herrenhöfen auftretende Sänger und Dichter.
31. Kapitel
In dem Joseph Sedley die Schwester in
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