Jahrmarkt der Eitelkeit
unbezwingbare kleine Frau des Adjutanten.
Von unseren Bekannten war noch einer zurückgeblieben, ein Nichtkämpfer, dessen Gefühle und Benehmen kennenzulernen wir deshalb ein Recht haben. Es war unser Freund, der ehemalige Steuereinnehmer von Boggley Wollah, dessen Nachtruhe, wie die anderer Leute, in aller Frühe durch den Klang der Hörner gestört worden war. Da er ein großer Schläfer war und sein Bett liebte, so hätte er wahrscheinlich, allen Trommeln, Hörnern und Dudelsäcken der britischen Armee zum Trotz, bis zu seiner üblichen Zeit am Vormittag durchgeschnarcht, wenn es nicht eine Störung gegeben hätte, die nicht George Osborne verursachte, der mit Joseph das Quartier teilte. Der Hauptmann war nämlich wie gewöhnlich viel zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten oder mit dem Abschiedskummer seiner Frau beschäftigt, um auf den Gedanken zu kommen, von seinem schlummernden Schwager Abschied zu nehmen. Es war also, wie gesagt, nicht George, der sich zwischen Joseph Sedley und den Schlaf drängte, sondern Hauptmann Dobbin, der kam und ihn aufrüttelte und ihm vor seinem Weggehen unbedingt noch die Hand schütteln wollte.
»Sehr freundlich von Ihnen«, sagte Joe gähnend und wünschte den Hauptmann zum Teufel.
»Ich – ich wollte nicht gehen, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen, wissen Sie«, sagte Dobbin etwas unzusammenhängend, »weil, wissen Sie, einige von uns kommen vielleicht nicht zurück, und ich möchte, daß es Ihnen allen gut geht, und – und allerlei so was, wissen Sie.«
»Was meinen Sie eigentlich?« fragte Joe und rieb sich die Augen.
Der Hauptmann hörte weder, noch sah er den dicken Herrn in der Nachtmütze, für den er so ein zärtliches Interesse zu hegen vorgab. Der Heuchler blickte und lauschte, so scharf er konnte, in die Richtung von Georges Zimmer, ging im Zimmer auf und ab, warf Stühle um, trommelte gegen die Scheiben, kaute an den Nägeln und gab allerlei Anzeichen einer großen inneren Erregung von sich.
Joseph hatte schon immer eine geringe Meinung von dem Hauptmann gehabt, und nun begann er an seinem Mut zu zweifeln. »Was kann ich für Sie tun, Dobbin?« fragte er sarkastisch.
»Ich will Ihnen sagen, was Sie tun können«, erwiderte der Hauptmann und trat an das Bett heran, »in einer Viertelstunde marschieren wir, Sedley, und vielleicht kommen weder George noch ich zurück. Vergessen Sie nicht, daß Sie diese Stadt nicht verlassen dürfen, bis Sie ganz sicher sind, wie die Dinge stehen. Sie müssen hierbleiben und Ihre Schwester schützen und sie trösten und dafür sorgen, daß ihr nichts zustößt. Denken Sie daran, wenn George etwas passiert, hat sie außer Ihnen niemanden auf der Welt. Erleidet die Armee eine Niederlage, dann müssen Sie dafür sorgen, daß sie sicher nach England zurückkommt, und Sie müssen mir auf Ihr Ehrenwort versprechen, daß Sie sie niemals verlassen werden. Ich weiß, daß Sie das nicht tun, in Geldangelegenheiten waren Sie immer großzügig genug. Brauchen Sie welches? Ich meine, haben Sie genug, um im Falle eines Unglücks nach England zurückkehren zu können?«
»Sir«, sagte Joseph majestätisch, »wenn ich Geld brauche, so weiß ich, wo ich darum anzuklopfen habe. Und was meine Schwester betrifft, so brauchen Sie mir nicht zu erzählen, wie ich mich ihr gegenüber benehmen muß.«
»Sie sprechen wie ein Mann von Charakter, Joseph«, versetzte der andere gutmütig, »und ich freue mich, daß George sie in so guten Händen zurücklassen kann. So darf ich ihm also Ihr Ehrenwort geben, nicht wahr, daß Sie ihr im schlimmsten Fall beistehen werden?«
»Natürlich, natürlich«, erwiderte Joseph, dessen Großzügigkeit in Geldangelegenheiten Dobbin ganz richtig beurteilt hatte.
»Und Sie werden sie im Falle einer Niederlage sicher von Brüssel wegbringen?«
»Eine Niederlage! Verdammt, Sir, das ist unmöglich. Versuchen Sie doch nicht, mir Furcht einzuflößen«, rief der Held aus seinem Bett, und Dobbin war nun vollkommen beruhigt, als Joe sich so entschieden geäußert hatte, wie er sich seiner Schwester gegenüber verhalten wollte. So ist ihr Rückzug wenigstens gesichert, wenn das Schlimmste sich ereignen sollte, dachte der Hauptmann.
Wenn Hauptmann Dobbin erwartet hatte, vor dem Abmarsch des Regiments noch einmal Trost und Befriedigung in ihrem Anblick zu finden, so erhielt sein Egoismus die verdiente Strafe. Die Tür von Josephs Schlafzimmer führte in das gemeinsame Wohnzimmer, und gegenüber befand sich Amelias Tür. Die
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