Jahrmarkt der Eitelkeit
Sie. Ich glaube, es ist seit zwölf Jahren keine Stunde vergangen, in der ich nicht an Sie gedacht hätte. Ich kam, ehe ich nach Indien ging, um Ihnen dies zu sagen, aber Ihnen war es gleichgültig, und ich konnte mir kein Herz fassen, zu sprechen. Es war Ihnen ja gleich, ob ich ging oder blieb.«
»Ich war sehr undankbar«, erwiderte Amelia.
»Nein, nur gleichgültig«, fuhr Dobbin verzweifelt fort. »Ich besitze nichts, um einer Frau andere Gefühle einzuflößen. Ich weiß, was Sie jetzt fühlen. Ihr Herz ist über die Entdeckung, daß das Klavier von mir kam und nicht von George, verletzt. Ich vergaß das, sonst hätte ich nie davon gesprochen. Es ist an mir, Sie um Verzeihung zu bitten, daß ich für Augenblicke ein Narr war und glaubte, jahrelange ergebene Treue hätte Sie umgestimmt.«
»Jetzt sind Sie grausam«, sagte Amelia kühn. »George ist mein Mann, hier und im Himmel. Wie könnte ich einen anderen lieben? Ich bin jetzt sein eigen wie damals, als Sie mich zum erstenmal sahen, lieber William. Er war es, der mir erzählte, wie gut und großmütig Sie seien, und der mich lehrte, Sie wie einen Bruder zu lieben. Sind Sie mir und meinem Knaben nicht alles gewesen? Unser liebster, treuester und gütigster Freund und Beschützer? Wären Sie ein paar Monate früher gekommen, so hätten Sie mir wahrscheinlich jene – jene entsetzliche Trennung ersparen können. Oh, sie hat mich fast ins Grab gebracht, William – aber Sie kamen nicht, obgleich ich es so wünschte und darum betete. Und sie haben mir auch ihn genommen. Ist er nicht ein prächtiger Junge, William? Bleiben Sie weiterhin sein und mein Freund ...« Hier brach ihr die Stimme, und sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter.
Der Major schloß sie in die Arme und drückte sie an sich, als ob sie ein Kind wäre; dann küßte er sie aufs Haar. »Es soll ja alles so bleiben, liebe Amelia«, sagte er. »Ich bitte um nichts als Ihre Liebe. Ich glaube, ich möchte es gar nicht anders haben. Lassen Sie mich nur in Ihrer Nähe sein und Sie häufig sehen.«
»Ja, oft«, entgegnete Amelia. So hatte Dobbin die Erlaubnis erhalten, zu schauen und sich zu sehnen – wie der arme Schulknabe, der kein Geld hat, den schönen Dingen im Korb der Kuchenfrau nachseufzen darf.
60. Kapitel
Führt wieder in die vornehme Welt zurück
Das Glück fängt jetzt an, Amelia zu lächeln. Wir freuen uns, sie aus ihrer bisherigen ärmlichen Umgebung zu feineren Leuten geleiten zu können, zwar nicht in so großartige und elegante Kreise wie die, in denen sich unsere andere Freundin, Mrs. Becky, bewegt, aber doch welche, die keine geringeren Ansprüche auf Eleganz und Vornehmheit erheben. Josephs Freunde kamen alle aus den drei indischen Präsidentschaften, und sein neues Haus lag in der hübschen anglo-indischen Gegend, deren Mittelpunkt der Moira Place ist. Wer kennt nicht die ansehnlichen Wohnstätten der aus Indien heimgekehrten Aristokratie, die sich von den Geschäften zurückgezogen hat – den Minto Square, die Great Clive Street, Warren Street, Hastings Street, den Ochterlony Place, den Plassy Square und die Assaye Terrace. (1827 gebrauchte man noch nicht für Stuckhäuser mit Asphaltterrassen davor die Bezeichnung »Gardens« – eine sehr passende Benennung für etwas, was so ganz und gar nicht an Gärten erinnert.) Mr. Wenham nannte die ganze Gegend »das schwarze Loch«. Josephs Stellung im Leben war nicht großartig genug, um ihn zu einem Haus am Moira Place zu berechtigen. Dort können nur ehemalige Mitglieder des Gouvernementsrates von Indien und Teilhaber indischer Firmen wohnen (die Bankrott machen, nachdem sie ihren Ehefrauen hunderttausend Pfund verschrieben haben, und sich in beträchtlicher Armut bei einem Jahreseinkommen von viertausend Pfund aufs Land zurückziehen). Joe mietete ein bequemes Haus zweiten oder dritten Ranges in der Gillespie Street und kaufte Teppiche, kostbare Spiegel und schöne Möbel von Seddons, den Konkursverwaltern von Mr. Scape. Der arme Scape war zuletzt Teilhaber der großen Firma Fogle, Fake und Cracksman in Kalkutta gewesen und hatte darin siebzigtausend Pfund, die Ersparnisse eines langen ehrlichen Lebens, angelegt. Er war an Fakes Stelle getreten, der sich in einen fürstlichen Park in Sussex zurückzog (die Fogles sind schon lange nicht mehr in der Firma, und Sir Horace Fogle wird bald als Baron Bandana geadelt werden). Er war also Teilhaber des großen Agenturhauses Fogle und Fake geworden, und zwar zwei Jahre bevor die Firma
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