Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jahrmarkt der Eitelkeit

Jahrmarkt der Eitelkeit

Titel: Jahrmarkt der Eitelkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Makepeace Thackeray
Vom Netzwerk:
»Kakaobaum«, machte ihn total betrunken und jagte ihm viertausend Pfund ab. Lebhaft und genau beschrieb sie den Schmerz der Familien auf dem Lande, die er ruiniert hatte, deren Söhne er in Unehre und Armut gestürzt, deren Töchter er verführt hatte. Sie kannte die armen Kaufleute, die durch seine Verschwendung an den Bettelstab kamen, die niederträchtigen Ränke und Spitzbübereien, mit denen er zu Werke ging, die erstaunlichen Lügen, mit denen er die edelmütigste aller Tanten hinters Licht führte, und die Undankbarkeit und den Spott, womit er deren Opfer vergalt. Alle diese Geschichten teilte sie Miss Crawley nach und nach mit, und zwar so ausführlich wie möglich. Sie hielt das für ihre Pflicht als Christin und Familienmutter und empfand keine Gewissensbisse oder Mitleid mit dem Opfer ihrer Zunge. Ja sie fand ihre Handlungsweise höchstwahrscheinlich ungemein verdienstvoll und tat sich auf die Entschlossenheit, mit der sie zu Werke ging, nicht wenig zugute. Man sage, was man will: Soll ein Mensch um seinen guten Ruf gebracht werden, so ist niemand geeigneter dazu als ein Verwandter. Dabei muß man zugeben, daß bei diesem elenden, unglückseligen Rawdon Crawley die bloße Wahrheit schon völlig ausgereicht hätte und daß alle erfundenen Skandalgeschichten seiner Freunde eine durchaus überflüssige Mühe waren.
    Da Rebekka nun auch zur Verwandtschaft gehörte, hatte sie natürlich ebenfalls teil an Mrs. Butes freundlichen Nachforschungen. Diese unermüdliche Wahrheitsverfechterin (sie hatte strengen Befehl gegeben, allen Abgesandten oder Briefen von Rawdon die Tür zu verschließen) nahm Miss Crawleys Kutsche und fuhr zu ihrer alten Freundin, Miss Pinkerton im Minerva-Haus, Chiswick Mall, der sie die schreckliche Nachricht von Hauptmann Rawdons Verführung durch Miss Sharp mitteilte und von der sie alle nur möglichen Einzelheiten über die Geburt und die frühere Geschichte der ehemaligen Gouvernante erfuhr. Die Freundin des großen Lexikographen hatte viel Wissenswertes auf Lager. Miss Jemima mußte die Quittungen und Briefe des Zeichenlehrers herbeiholen. Der eine war entstanden, als er gerade ins Schuldgefängnis geworfen werden sollte, in einem anderen bat er um Vorschuß, ein dritter war voll von Dankbarkeit für Rebekkas Aufnahme im Hause der Damen in Chiswick, und das letzte Dokument aus der Feder des unglücklichen Künstlers war das, worin er auf dem Totenbett sein verwaistes Kind Miss Pinkertons Schutz empfahl. In der Sammlung gab es auch kindliche Briefe und Bittschriften von Rebekka, in denen sie angelegentlich um Unterstützung für ihren Vater bat oder ihre Dankbarkeit ausdrückte. Vielleicht gibt es auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit keine besseren Satiren als eben Briefe. Nimm ein Bündel von denen, die dein lieber Freund dir vor zehn Jahren schrieb – dein lieber Freund, den du jetzt haßt. Schau dir den Stoß von deiner Schwester an; wie hingt ihr aneinander, bis ihr euch wegen der Erbschaft von zwanzig Pfund gestritten habt. Kram die Kinderbriefe deines Sohnes heraus, der dir später mit seinem selbstsüchtigen Ungehorsam fast das Herz gebrochen hat. Oder einen Stoß deiner eigenen, die unendliche Glut und ewige Liebe atmen und die dir deine Geliebte zurückschickte, als sie den Nabob heiratete – deine Geliebte, die dich jetzt nicht mehr kümmert als die Königin Elisabeth. Gelübde, Liebesschwüre, Versprechungen, vertrauliche Mitteilungen, Dankbezeigungen – wie seltsam liest sich das nach einiger Zeit! Auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit müßte es ein Gesetz geben, wonach jedes geschriebene Dokument (außer quittierten Rechnungen) nach einem angemessenen Zeitraum vernichtet werden soll. Die Quacksalber und Misanthropen, die ihre unzerstörbare japanische Tinte anpreisen, sollten samt ihren abscheulichen Erfindungen ins Jenseits befördert werden. Die beste Tinte für den Jahrmarkt der Eitelkeit wäre eine, die in wenigen Tagen vollständig verbliche und das Papier rein und weiß hinterließe, so daß man darauf an irgend jemand anderes schreiben könnte.
    Von Miss Pinkertons Haus verfolgte die unermüdliche Mrs. Bute die Spur Sharps und seiner Tochter bis in die Wohnung in der Greek Street, die der verstorbene Maler innegehabt hatte und wo das Porträt der Hauswirtin in weißem Atlas und ihres Mannes mit Messingknöpfen, von Sharp als Ersatz für die Vierteljahresmiete gemalt, noch die Wände des Wohnzimmers zierten. Mrs. Stokes war sehr mitteilsam und erzählte ohne Umschweife

Weitere Kostenlose Bücher