Glückskind
1. KAPITEL
Als der Motor ihres Wagens eine Meile vor Las Vegas stotterte und schließlich den Geist aufgab, erwog Darcy Wallace ernsthaft, einfach zu bleiben, wo sie war, und unter der erbarmungslosen Wüstensonne zu verdorren. Sie hatte noch genau 9 Dollar 37 in der Tasche und eine lange Fahrt hinter sich, die nirgend wohin führte.
Dass sie diese klägliche Summe überhaupt noch besaß, war pures Glück, denn am vergangenen Abend hatte man ihr in einem Imbiss die Handtasche gestohlen.
Ihren Job und ihr Zuhause in Kansas hatte sie aufgeben. Sie hatte keine Familie mehr und nichts, wohin sie zurückkehren konnte. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als ihre wenigen Habseligkeiten zu packen und alles hinter sich zu lassen.
Nach Westen war sie nur gefahren, weil ihre Kühlerhaube in diese Richtung gezeigt hatte, und sie hatte es als ein Zeichen genommen. Sie hatte sich ein Abenteuer versprochen.
Von all den Frauen, die der Welt mutig die Stirn boten und sich ihren eigenen Weg suchten, nur zu lesen, war nicht mehr genug gewesen. Es war Zeit, selbst etwas in Angriff zu nehmen.
Wenn sie geblieben wäre, wäre sie in ihren alten Trott zurückgefallen. Wieder. Sie hätte getan, was man ihr sagte. Wieder.
Doch jetzt, eine lange Woche nachdem sie sich mitten in der Nacht davongeschlichen hatte, begann sie sich zu fragen, ob ihr nicht einfach nur ein ganz normales Dasein bestimmt war. Vielleicht hätte sie sich mit dem, was das Leben ihr bot, zufrieden geben sollen.
Mit Gerald hätte sie ein gutes Leben erwartet, um das viele Frauen sie beneidet hätten. Ein Leben in einem hübschen Heim, mit vollen Kleiderschränken, die eine Garderobe beherbergten, die der Frau eines wohlhabenden Mannes angemessen war, einem Sommerhaus in Bar Harbor und Winterurlauben in tropischen Gefilden.
Sie hätte nur das tun müssen, was man ihr sagte. Sie hätte nur ihre Wünsche und Sehnsüchte ein für alle Mal begraben müssen. Es hätte ihr eigentlich nicht schwer fallen dürfen. Schließlich hatte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes getan.
Aber es war ihr schwer gefallen.
Sie schloss die Augen und legte die Stirn aufs Lenkrad. Was hatte Gerald nur an ihr gefunden? Es gab nichts Besonderes an ihr. Sie hatte ein gutes Gedächtnis und ein Durchschnittsgesicht.
Himmel, er machte ihr Angst. Sie erinnerte sich an seinen Tobsuchtsanfall, als sie sich ihr schulterlanges Haar ganz abgeschnitten hatte.
Also mir gefällt es, dachte sie mit einem kleinen Anflug von Trotz, während sie sich durch die kurz geschnittenen, braunen Locken fuhr.
Glücklicherweise waren sie noch nicht verheiratet gewesen. Er hatte kein Recht gehabt, ihr zu sagen, wie sie auszusehen, sich zu kleiden und zu benehmen hatte.
Sie hätte seinen Heiratsantrag gar nicht erst annehmen dürfen. Sie war nur so müde gewesen, so ängstlich, so durcheinander. Auch wenn ihr schon bald darauf die ersten Zweifel gekommen waren und sie ihm schließlich den Ring zurückgegeben hatte, waren ihr sein Zorn und der Tratsch, der mit der ganzen Sache unweigerlich einherging, nicht erspart geblieben. Aber sie hatte entdeckt, dass er verantwortlich dafür war, dass sie ihren Job verloren hatte und dass ihr die Kündigung ihres Apartments ins Haus geflattert war.
Er hatte sie verändern wollen. Und du hast ihm diesen Gefallen fast getan, dachte sie, während sie sich mit dem Handrücken den Schweiß vom Gesicht wischte.
Zum Teufel damit, entschied sie und rang sich schließlich durch, auszusteigen. Dann hatte sie eben nur noch knappe zehn Dollar, keinen fahrbaren Untersatz und eine Meile Fußmarsch vor sich. Sie hatte es geschafft, Gerald zu entkommen. Und sie war endlich, mit dreiundzwanzig Jahren, ganz auf sich gestellt.
Ihren Koffer ließ sie im Wagen und nahm nur die voll gestopfte Einkaufstasche mit, die alles enthielt, was ihr wirklich wichtig war. Dann machte sie sich zu Fuß auf den Weg.
Sie brauchte eine Stunde, um an ihr Ziel zu gelangen. Sie hätte nicht erklären können, warum sie weiter an der Landstraße 15 entlangtrottete, während sie auf die glitzernde Skyline von Las Vegas zuging. Sie wusste nur, dass sie dort sein wollte, wo all die bunten Lichter blinkten.
Die Sonne schickte sich an, hinter den westlichen Spitzen der roten Berge zu versinken. Darcys unaufhaltsam wachsender Hunger hatte sich in einen dumpfen Schmerz verwandelt. Sie erwog, irgendwo eine Pause einzulegen, um einen Happen zu essen und sich ein bisschen auszuruhen, aber es hatte etwas
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