Jahrmarkt der Eitelkeit
Wenn Mrs. Bute im Zimmer wie auf samtenen Katzenpfoten umherging, schienen die Augen sogar im Dunkeln zu leuchten (die Vorhänge hielt sie nämlich ständig zugezogen). So lag Miss Crawley tagelang, viele, viele Tage, und Mrs. Bute las ihr aus Andachtsbüchern vor. So lag sie nächtelang, viele, viele Nächte, in denen sie den Ruf des Nachtwächters hörte und sah, wie das Nachtlicht sprühte. Um Mitternacht kam als letzter Besuch leise der Apotheker, und dann war sie allein mit Mrs. Butes funkelnden Augen und dem gelben Flackern des Nachtlichtes an der eintönigen düsteren Zimmerdecke. Hygieia 2 selbst wäre unter einer solchen Herrschaft krank geworden, wieviel mehr dann erst dieses arme, alte nervenschwache Opfer! Wir haben festgestellt, daß die würdige Bewohnerin des Jahrmarkts der Eitelkeit, wenn sie gesund und munter war, so freie Ansichten über Religion und Moral hatte, wie Monsieur de Voltaire sie sich selbst hätte wünschen können; sobald sie aber krank wurde, verschlimmerte sich ihr Zustand durch die entsetzlichsten Todesschrecken, und die alte Sünderin wurde ausgesprochen feige.
Predigten am Krankenbett und fromme Betrachtungen sind in einem reinen Geschichtenbuch bestimmt fehl am Platze, und wie beabsichtigen nicht (wie manche moderne Romanschreiber), den Leser zu beschwatzen, eine Predigt anzuhören, wenn er für eine Komödie bezahlt hat. Aber ohne predigen zu wollen, möchten wir doch bitten, die Wahrheit im Auge zu behalten und zu sehen, daß das Leben und Treiben und der Triumph, das Lachen und die Fröhlichkeit, die der Jahrmarkt der Eitelkeit öffentlich zeigt, dem Schauspieler nicht immer ins Privatleben folgen und daß ihn oftmals traurige Niedergeschlagenheit und verzweifelte Reue packen. Die Erinnerung an die köstlichsten Bankette wird kranke Epikureer 3 wohl schwerlich aufheitern können. Erinnerungen an die hübschesten Kleider und glänzendsten Balltriumphe werden verwelkten Schönheiten stets nur wenig zum Trost dienen. Vielleicht bereitet es Staatsmännern in einer gewissen Periode ihres Lebens wenig Befriedigung, an die erfolgreichsten Abstimmungen zu denken, und der Erfolg und die Freude von gestern schrumpfen gewaltig zusammen, wenn ein gewisses (und trotzdem ungewisses) Morgen in Aussicht steht, mit dem wir doch alle früher oder später einmal rechnen müssen. O meine Mitbrüder im Narrenkleid! Gibt es nicht Augenblicke, wo einen die Luftsprünge, das Lachen und das Schellengeklingel anekeln? Mein liebenswürdiges Ziel, teure Freunde und Genossen, ist es, mit euch über dem Jahrmarkt zu gehen und die Buden und Schaustellungen zu durchforschen; und nach all dem Glanz, all dem Lärmen und all der Lustigkeit werden wir wieder heimkehren und dann im verborgenen höchst unglücklich sein.
Wenn mein armer Mann doch bloß einen Kopf auf den Schultern trüge, dachte Mrs. Bute Crawley bei sich, wie nützlich könnte er sich gerade jetzt der unglücklichen alten Dame machen! Er könnte sie zur Reue über ihre entsetzliche Freidenkerei bringen; er könnte sie bewegen, ihre Pflicht zu tun und diesen abscheulichen Verworfenen, der sich und seiner Familie Schande gemacht hat, zu verstoßen. Auch könnte er sie veranlassen, meinen lieben Mädchen und den beiden Jungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die ganz sicher jede Hilfe brauchen und verdienen, die ihre Verwandten ihnen geben können.
Da Haß gegen das Laster stets ein Schritt zur Tugend ist, versuchte Mrs. Bute Crawley ihrer Schwägerin einen gehörigen Abscheu vor Rawdon Crawleys vielfältigen Sünden einzuflößen. Die Frau seines Onkels verfaßte einen so ausführlichen Katalog davon, daß er ausgereicht hätte, ein ganzes Regiment junger Offiziere zu verdammen. Hat ein Mensch im Leben ein Unrecht begangen, so wüßte ich nicht, wer schneller dabei wäre, seine Fehler der Welt zu verkünden, als die eigenen Verwandten. Mrs. Bute zeigte daher auch ein höchst lebhaftes Familieninteresse und eine genaue Kenntnis von Rawdons Lebensgeschichte. Sie wußte alle Einzelheiten jenes häßlichen Streites mit Hauptmann Firebrace, bei dem Rawdon, der von Anfang an im Unrecht war, den Hauptmann schließlich erschoß. Sie kannte die Geschichte von dem unglücklichen Lord Dovedale, dessen Mutter in Oxford ein Haus gemietet hatte, damit ihr Sohn dort ausgebildet werden konnte. Der Junge hatte vor seiner Ankunft in London noch nie eine Karte in der Hand gehabt, Rawdon aber, dieser abscheuliche Verführer der Jugend, lockte ihn in den
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