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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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kopfschüttelnd mit den anderen hinaus in die Freiheit, und das ungefähr wäre mein Ende.

    Aber nach dem erfundenen endlich das blaßwangige und verdrießliche, das wirkliche und einfallslose Ende, bei dem man leicht Lust bekommt zu der unsinnigen Frage: Wofür nur das alles?
    Kowalski ist unwiderruflich tot, und Jakob lebt vorerst weiter, verschwendet keinen Gedanken daran, Lina fremden Leuten aufzuhalsen, entblößt seine Jacke nicht von vorgeschriebenen Sternen, läßt die Zange in der Schublade, falls er überhaupt eine besitzt, verleitet also auch keinen Posten auf dem alten Gemüsemarkt in kühler und sternenklarer Nacht zu Schüssen, die ein so gewaltiges Echo auszulösen imstande sind. Er hat, man weiß warum, an diesem Tag die Arbeit versäumt, sein erhängter Freund wandert ihm im Kopf herum, doch der muß vor dem nächsten Morgen weichen. Und zwar für dringliche Überlegungen, Jakob konnte sich mit eigenen Augen überzeugen, wohin die Aufgabe des Radios führt, vielleicht nimmt es nicht bei jedem gleich solche Formen an, aber bei diesem und jenem eben schon, und darum bleibt mit dem Radio alles beim alten. Die Trauer um Kowalski, den man plötzlich mehr vermißt, als man ihn zu Lebzeiten je begehrt hat, muß sich auf der langen Wartebank gedulden, statt dessen fängt die kleine Nachrichtenfabrik, die ihren Mann so mühsam ernährt, zu arbeiten an, denn morgen wird wieder gefragt werden wie alle Tage, das Leben schleppt sich immerhin weiter.
    Dann dieser nächste Morgen, Jakob geht mit schmalem Mund an Kowalskis Haus vorbei, den Blick starr auf einen rettenden Punkt am Ende der Straße gerichtet. Dabei ist bekannt, wie hoffnungslos jeder Versuch ausfallen muß, mit Gewalt an etwas Bestimmtes nicht zu denken, Jakob sieht ihn so genau liegen, als stände er vor ihm im Zimmer, er knotet noch einmal den Rest der Schnur vom Fensterrahmen, zieht den Stuhl heran, weil er sich nicht auf das Bett setzen möchte, zu allem Überfluß hört er noch den Schluß oder den Anfang eines Gesprächs.
    »In dem Haus da.«
    »Nummer vierzehn?«
    »Nein, Nummer sechzehn. Das Eckhaus.«
    »Und weiß man schon, wer?«
    »Unbekannt. Ein gewisser Kaminski oder so ähnlich.«
    Weit vor dem Bahnhof schon erkennt Jakob, daß Ungewöhnliches geschehen sein muß, die arbeitsbereiten Juden stauen sich am Eingang, weil das Tor verschlossen ist.
    Warum man sie nicht hineinläßt, ist ihm zunächst rätselhaft, rätselhaft auch, warum der erste, der ihn entdeckt, mit dem Finger auf ihn zeigt, etwas sagt, und die anderen wenden ihm die Gesichter zu. Fünfzig, sechzig Mann haben auf Jakob gewartet, ich unter ihnen, wir sehen den einzigen Menschen, der sich noch, wie wir hoffen, zwischen uns und das Unglück zu stellen vermag, zögernd und verwundert auf uns zukommen.
    Wir machen ihm Platz, wir bilden eine schmale Gasse, damit er ungehindert zum Tor gehen kann, lesen kann, was dort geschrieben steht, und uns dann sagen, daß alles nur halb so schlimm ist. Neben mir tritt Rechtsanwalt Schmidt von einem Fuß auf den anderen, ich höre, wie er vor sich hinflüstert: »Na, geh doch schon endlich!« Weil Jakob so aufreizend langsam geht und den Leuten in die Augen blickt anstatt nach vorne.
    Pünktlich zum Arbeitsbeginn trifft Jakob vor dem verschlossenen Bahnhofstor ein und liest die dort befestigte Bekanntmachung. Daß wir alle uns heute mittag, Punkt dreizehn Uhr, auf dem Platz vor dem Revier einzufinden haben, fünf Kilogramm Gepäck pro Person, die Wohnungen sind unverschlossen und in sauberem Zustand zurückzulassen, wer nach der festgesetzten Zeit in seinem Haus angetroffen wird, das gleiche gilt auch für Bettlägerige und Gebrechliche, Näheres um dreizehn Uhr am angegebenen Ort.
    Und jetzt geh und gib ihnen weiter Trost, woher du ihn nimmst, ist deine Sache, mach ihnen weis, daß alles nur ein schlechter Scherz ist, daß es in Wirklichkeit eine Fahrt ins Blaue wird mit vielen netten Überraschungen, auf so etwas Ähnliches lauern sie doch hinter deinem Rücken. Kein Grund zur Beunruhigung, Brüder, wollen sie hören, laßt den Wisch da getrost hängen und kümmert euch nicht weiter um ihn, wer neugierig ist, kann meinetwegen auch um eins zum Revier kommen, wenn er nichts Besseres vorhat.
    Passieren kann so und so nichts, denn, das wißt ihr ja noch gar nicht, das habe ich dummerweise ganz vergessen zu erzählen, die Russen warten schon hinter der nächsten Ecke und geben Obacht, daß keinem von euch auch nur ein Haar gekrümmt

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