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Jakob der Luegner

Jakob der Luegner

Titel: Jakob der Luegner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jurek Becker
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für Kowalski.
    Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, wie ich selbst mich in dieser Angelegenheit verhalte, auf welcher Seite ich stehe, ob ich Jakobs Freund bin oder Feind. Aber wie ich mich kenne, auch wenn ich bedenke, wieviel mir die ständigen Informationen bedeutet haben, bin ich sein Feind, einer der schlimmsten sogar. Nehmen wir an, ich plädiere entschieden, sich durch das Gerede nicht verwirren zu lassen, ihm das Radio lieber heute wegzunehmen als morgen. Viele sind meiner Ansicht, aber auch andersdenkende Juden melden sich zu Wort, zum Beispiel diejenigen, die von Anfang an das Radio für eine Gefahr gehalten haben. Die sind im Grunde zufrieden über Jakobs Sinneswandlung, sie sagen: »Macht doch nicht gleich ein solches Geschrei. Wenn die Russen überhaupt kommen, dann kommen sie so und so.« Und wieder andere sagen: »Laßt uns noch abwarten, vielleicht kommt Heym von alleine zur Besinnung. Man muß ihm etwas Zeit lassen.«
    Jedenfalls findet der Einbruch nicht statt, nicht in meinem Ende.
    Zu einer Nervenprobe für Jakob werden diese schlimmen Tage auch in anderer Hinsicht, irgendwann muß er feststellen, daß er einer nun fast schon alten Gewohnheit treu geblieben ist, daß er wieder einmal seine Kräfte überschätzt hat. Er war überzeugt, die Welle von Feindschaft, mit der ja gerechnet werden mußte, würde ihm nur wenig ausmachen, er könnte sie heil überstehen, er hat sich Mut zugesprochen mit dem Gedanken, er hätte Übung in solchen Dingen, die ganzen Jahre in der Diele wären schließlich kaum etwas anderes gewesen als ein Kampf einer gegen alle. Das war ein leichtfertiger Trugschluß. Unberücksichtigt ist dabei die Zeit seit Bezanika geblieben, während der Jakob mit Wohlwollen, Herzlichkeit und Achtung überschüttet wurde, mit Zeichen von Unentbehrlichkeit, an die man sich lächerlich schnell gewöhnt.
    Und jetzt das genaue Gegenteil, nach höchstens zehn Tagen droht ihm die besagte Welle von Feindschaft über dem Kopf zusammenzuschlagen, die kalten Schultern werden unerträglich.
    Lina bemerkt Veränderungen an Jakob, die sie nicht einzuordnen weiß, sie hält sich folgsam an seine Anweisungen, bleibt also auf dem Boden und hört daher von nichts. Sie sieht nur, daß Jakob, sooft er bei ihr ist, in freudlose Gedanken versinkt, kaum mehr ein Wort redet, nicht einmal nach Gebühr staunt, als sie ihm einen ganzen Satz aus dem Afrikabuch vorliest, ohne Hilfe. Wenn sie sich zu ihm auf den Schoß setzt, sitzt sie dort wie auf einem Stuhl, vor kurzem noch hat er ihr den Platz auf den Knien gerne angeboten, jetzt scheint er sie gar nicht zu bemerken. Wenn sie ihn um eine Geschichte bittet, sagt er, er weiß keine mehr, und vertröstet sie auf ungewisse Zeit, bis ihm wieder eine einfällt.
    Lina fragt: »Hast du dich über etwas geärgert?«
    »Geärgert? Wieso geärgert?«
    »Weil du so komisch bist.«
    »Ich bin komisch?« sagt Jakob und bringt nicht die Kraft auf, die ungerechte Strenge in der Stimme zu vermeiden.
    »Kümmere du dich um deine Sachen und laß mich in Ruhe.«
    Lina bleibt alleine und hat sehr wenig, worum sie sich kümmern könnte, nur Jakob, mit dem für sie Unbegreifliches geschehen sein muß.
    An einem wichtigen Abend in meinem Ende, kurz nach einem Monatsersten, weil an dem stets die Lebensmittelkarten ausgegeben werden, klopft Jakob an Mischas Tür. Es dauert eine gute Weile, bis vorsichtig geöffnet wird, Mischa sagt verwundert: »Jakob?«
    Jakob tritt in das Zimmer, das erste, was er sagt: »Wenn du sie schon verstecken willst, darfst du nicht zwei Tassen auf dem Tisch stehenlassen, du Trottel.«
    »Das ist wahr«, sagt Mischa.
    Er geht zu dem Kleiderschrank und läßt Rosa heraus. Rosa und Jakob stehen sich stumm gegenüber, so lange, daß Mischa die Situation schon peinlich wird.
    »Kennt ihr euch?« fragt er.
    »Wir haben uns einmal flüchtig gesehen«, sagt Jakob.
    »Nehmen Sie doch Platz«, sagt Rosa freundlich und schnell, bevor Mischa nach diesem einen Mal fragt. Jakob setzt sich und sucht einen Anfang, denn er kommt nicht einfach so, sein Anliegen ist von erheblichem Umfang.
    »Weswegen ich hier bin«, sagt er. »Ich will dich um einen Gefallen bitten, und wenn du ablehnst, kann ich das sehr gut verstehen. Mir ist bloß kein anderer eingefallen, zu dem ich damit hätte gehen können.«
    »Rede schon«, sagt Mischa.
    »Die Sache ist die, daß ich mich in den letzten Tagen ekelhaft schlecht fühle. Rein gesundheitlich, meine ich. Der Jüngste bin ich nicht

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