Jakob der Luegner
ich Lina, sie soll getrost fragen, wenn sie etwas nicht verstanden hat. Aber sie macht keinen Gebrauch von dieser Offerte, sie stützt den Kopf in beide Hände und überlegt sich die Angelegenheit noch einmal in aller Ruhe.
Immerhin muß sie über einen schwerwiegenden Irrtum hinwegkommen, Wolken sind nicht aus Watte.
»Du weißt nicht, worauf du dich da einläßt«, flüstert mir Jakob ins Ohr.
»Warum?«
»Weil du keine Ahnung hast, was für Fragen dieses Kind stellen kann.«
Ich schaue sie an und sage: »So schlimm wird es schon nicht werden.«
Seine Augen antworten »warte ab«, dann fragt er mich, ob ich ein wenig an die Luke möchte.
»Gerne«, sage ich.
Ich stehe erwartungsvoll auf und sehe hinaus, bis es Nacht wird. Ich sehe Dörfer und Äcker, einmal sogar eine kleine Stadt von weitem, an einem halb zugewachsenen Teich sehe ich eine Gruppe von Soldaten, die zwischen Lastwagen, Geschützen und Kühen ausruht. Und ich sehe ein paar verschlafene Stationen mit Bahnsteigen und Schranken und Eisenbahnerhäuschen, an denen grüne Kästen von Blumen überlaufen, ich frage mich, ob diese Kästen Dienstvorschrift sind, weil sie an jedem der Häuschen hängen und alle grün.
Und Leute sehe ich, die unserem Zug nachschauen und deren Gesichter ich nicht erkennen kann, vor allem aber sehe ich Bäume, die ich fast schon vergessen hatte, obwohl ich noch ein junger Kerl bin, Unmengen von Bäumen. Buchen und Erlen und Birken und Weiden und Kiefern, du lieber Gott, was sehe ich für Bäume, die Bäume hören nicht auf.
Ein Baum war schuld daran, daß ich nicht Geiger werden durfte, und unter einem Baum bin ich ein richtiger Mann geworden, die Wildschweine kamen zu spät, um es zu verhindern. Und an einem unbekannten Baum ist mir meine Frau Chana verlorengegangen, und eine Verordnung wollte mir Bäume für alle Zeiten verbieten. Manche sagen, die Bäume verwirren meinen Sinn, ich stehe und stehe, mitunter setze ich mich heute noch in einen Zug, auf besonders waldreicher Strecke, am liebsten habe ich Mischwald. Bis ich Jakobs Stimme höre: »Willst du nicht endlich schlafen?«
»Laß mich noch ein bißchen stehen«, sage ich.
»Aber du siehst doch gar nichts mehr«, höre ich ihn sagen.
»Doch.«
Denn ich sehe noch die Schatten von Bäumen, und schlafen kann ich nicht, wir fahren, wohin wir fahren.
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