James Bond 05 - Liebesgrüße aus Moskau (German Edition)
immer dabei herauskommen würde. Wenn der Engländer Erfolg hatte, wäre es großartig. Wenn er versagte, würde es im Westsektor immer noch für eine Menge Schwierigkeiten sorgen. Schwierigkeiten für die Briten, weil Grant ihr Mann war, Schwierigkeiten mit den Deutschen, weil der Versuch allein ihre Agenten verschrecken würde, und Schwierigkeiten mit den Amerikanern, weil sie den Baumgarten-Ring finanziell unterstützten und denken würden, dass Baumgartens Sicherheitsvorkehrungen nichts taugten. Selbstzufrieden kehrte der Oberst in sein Büro zurück und setzte sich vor Grant.
»Sie meinen, was Sie sagen?«
»Natürlich tue ich das.«
»Haben Sie ein gutes Gedächtnis.«
»Ja.«
»Im Britischen Sektor gibt es einen Deutschen namens Dr. Baumgarten. Er lebt in Wohnung Nummer fünf auf dem Kurfürstendamm 22. Wissen Sie, wo das ist?«
»Ja.«
»Man wird Sie heute Abend in den Britischen Sektor zurückbringen. Ihr Nummernschild tauschen wir aus. Ihre Leute werden nach Ihnen suchen. Sie bringen einen Umschlag zu Dr. Baumgarten. Darauf wird stehen, dass er nur persönlich abgegeben werden darf. In Ihrer Uniform und mit diesem Umschlag werden Sie keine Schwierigkeiten bekommen. Sie werden sagen, dass die Botschaft so privat ist, dass Sie Dr. Baumgarten alleine sprechen wollen. Dann werden Sie ihn töten.« Der Oberst hielt inne. Er hob seine Augenbrauen. »Verstanden?«
»Ja«, antwortete Grant stur. »Und wenn ich es tue, werde ich dann noch mehr solcher Aufträge von Ihnen bekommen?«
»Möglicherweise«, erwiderte der Oberst gleichgültig. »Zuerst einmal müssen Sie uns zeigen, was Sie können. Wenn Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben und in den Sowjetischen Sektor zurückgekehrt sind, fragen Sie nach Oberst Boris.« Er läutete eine Glocke, und ein Mann in Zivilkleidung kam herein. Der Oberst deutete auf ihn. »Dieser Mann wird Ihnen etwas zu essen geben. Später wird er Ihnen auch noch den Umschlag und ein scharfes Messer amerikanischer Herkunft geben. Es ist eine ausgezeichnete Waffe. Viel Glück.«
Der Oberst zog eine Rose aus der Vase und schnupperte ausgiebig daran.
Grant stand auf. »Vielen Dank, Sir«, sagte er freundlich.
Der Oberst sah weder von der Rose auf noch antwortete er. Grant folgte dem Mann in Zivilkleidung aus dem Raum.
Das Flugzeug flog dröhnend über das russische Landesinnere. Sie hatten die östlichen Hochöfen um Stalino und im Westen den silbernen Verlauf des Dnepr hinter sich gelassen, der sich in Richtung Dnipropetrowsk schlängelte. Das Lichtermeer um Charkiw hatte die Grenze der Ukraine markiert, und die Phosphatstadt Kursk lag inzwischen auch hinter ihnen. Nun wusste Grant, dass die ununterbrochene Schwärze unter ihnen die große Steppe war, wo Milliarden Tonnen russisches Getreide in der Dunkelheit flüsterten und reiften. Es würde keine weiteren Lichtinseln geben, bis sie in einer weiteren Stunde die letzten fünfhundert Kilometer nach Moskau zurückgelegt hatten.
Denn inzwischen wusste Grant eine Menge über Russland. Nach der schnellen, sauberen und spektakulären Ermordung eines wichtigen westdeutschen Spions, hatte er kaum wieder die Grenze überquert und sich seinen Weg zu »Oberst Boris« durchgefragt, als sie ihn auch schon in Zivilkleidung gesteckt und ihm einen Helm aufgesetzt hatten, um seine Haarfarbe zu verdecken. Dann war er in ein leeres Flugzeug des MGBs gesteckt und direkt nach Moskau geflogen worden.
Damit begann für Grant ein Jahr der Quasihaft, in dem er sich darauf konzentrierte, sich fit zu halten und Russisch zu lernen, während ständig neue Personen um ihn herum auftauchten und wieder verschwanden – Vernehmungsoffiziere, Lockspitzel, Ärzte. Währenddessen untersuchten sowjetische Agenten in England und Nordirland penibel seine Vergangenheit.
Am Ende dieses Jahres bekam Grant eine Bescheinigung politischer Unbedenklichkeit, die so gut ausfiel, wie ein Ausländer in Russland sie überhaupt bekommen konnte. Die Agenten bestätigten seine Geschichte. Die englischen und amerikanischen Lockspitzel berichteten, dass er an Politik oder den sozialen Gewohnheiten eines jeglichen Landes vollkommen uninteressiert war, und die Ärzte und Psychologen stimmten überein, dass es sich bei ihm um einen Manisch-Depressiven im fortgeschrittenen Stadium handelte, dessen Schübe mit dem Vollmond zusammenfielen. Sie fügten hinzu, dass Grant außerdem ein Narzisst, vollkommen asexuell und seine Schmerztoleranzschwelle außerordentlich hoch sei. Neben diesen
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