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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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dass er sie geäußert hatte. Er war ihr einziger Begleiter, und als sie sich im Schloss eingerichtet hatten, fiel die Gastfreundschaft dem ansässigen Landadel gegenüber weniger großzügig aus als versprochen. Benvolio beklagte sich darüber nicht, war er doch, während dieser guten Woche, leidenschaftlich in seine Gastgeberin verliebt. Sie unternahmen lange Schlittenfahrten und sogen die Poesie des Winters ein. Die blauen Schatten auf dem Schnee, das kalte bernsteinfarbene Licht im Westen, die blattlosen Zweige vor dem schneeschwangeren Himmel, all das bereitete ihnen außerordentliches Vergnügen. Die Nächte waren sogar noch besser, wenn, ehe der Mond aufging, die großen silbernen Sterne das blanke Eis glitzern ließen und die junge Gräfin und ihr Liebster sich, Hand in Hand, in Bewegung setzten und leichtfüßig Meile um Meile durch die Dunkelheit glitten. Nach ihrer Rückkehr saßen sie noch eine Weile vor dem großen Kamin in der alten Bibliothek und tranken aus kleinen Bechern mit Gewürzen erhitzten Wein. Vielleicht war es hier, mit dem Becher in der Hand – dieser Punkt ist unklar –, dass Benvolio die letzten Fesseln seiner Zurückhaltung sprengte und der Gräfin, auf eine Art und Weise, die sie zufriedenstellte,
seine Liebe gestand. In aller Form die Seine zu werden, nur die Seine und die Seine für immer – dies verlangte er ausdrücklich, leidenschaftlich, gebieterisch von ihr. Danach gab sie ihren Ball für ihre Nachbarn vom Land, und Benvolio tanzte zu ausgelassenen, schwungvollen Melodien mit einem Dutzend rotbackiger Schönheiten, die nach der neuesten Mode des vorletzten Jahres gekleidet waren. Die Gräfin ihrerseits tanzte mit den strammen männlichen Pendants dieser jungen Damen, doch sie fand reichlich Gelegenheit, Benvolio zu beobachten. Gegen Ende des Abends sah sie ihn ernst und gelangweilt dreinblicken, die Stirn ganz ähnlich gerunzelt wie damals, als er an jenem letzten Tag in ihrem Boudoir ins Feuer starrte. Zum hundertsten Mal sagte sie sich, dass er doch der sonderbarste Geselle auf Erden sei.
    Nach ihrer Rückkehr in die Stadt hatte sie häufig Anlass, sich dies erneut zu sagen. Zuweilen machte er den Eindruck, als bereue er seinen Handel – als behage es ihm ganz und gar nicht, dass die Gräfin nun, da er ihr einziger Liebster war, die einzige Frau in seinem Leben sein sollte. Sie hielt es jetzt für ihr gutes Recht, von ihm zu erfahren, wie er seine Zeit verbrachte, und er verheimlichte ihr nicht, dass
er nach seiner Ankunft in der Stadt als Erstes seinen exzentrischen Nachbarn einen Besuch abgestattet hatte. Daraufhin machte sie ihm eine leidenschaftliche Eifersuchtsszene, belegte Scholastica mit einem Dutzend hässlicher Schimpfnamen – nannte sie einen kleinen schäbigen Blaustrumpf 15 , eine kleine selbstgerechte hinterhältige Heuchlerin –, verlangte, dass er verspreche, nie wieder mit ihr zu reden, und forderte ihn auf, ein für alle Mal seine Wahl zu treffen. Wolle er ihr angehören oder dieser abscheulichen kleinen Schulmeisterin? Er müsse sich für das eine oder das andere entscheiden; es gebe nur ein Entweder-oder; sie könne unmöglich einen Liebsten haben, auf den so wenig Verlass sei. Die Gräfin sagte nicht, dass sie das unglücklich machen würde, vielmehr wiederholte sie ein Dutzend Mal, dass es sie lächerlich mache. Benvolio wurde kreidebleich; sie hatte ihn noch nie so gesehen; offensichtlich fand in seinem Inneren ein heftiger Kampf statt. Eine schreckliche Szene war die Folge. Er stieß Verwünschungen aus und überhäufte die Gräfin mit Vorwürfen; er bezichtigte sie, sie sei sein böser Geist, sie verleite ihn dazu, seine besten Anlagen zu vernachlässigen, sein Talent verkümmern zu lassen, sein Leben zu vergeuden; und dennoch,
so gestand er, sei er ihr verfallen, ziehe sie ihn in ihren Bann, ohne dass er sich dagegen wehren könne, müsse er, gleichgültig, welche Opfer ihm abverlangt würden, ihr Sklave sein. Dieses Geständnis erfüllte die Gräfin mit ungewöhnlicher Befriedigung und entschädigte sie bis zu einem gewissen Grad für die wenig schmeichelhaften Bemerkungen, die es begleiteten. Sie gestand ihrerseits, was sie bisher stets zu stolz gewesen war zuzugeben – dass er ihr nämlich überaus viel bedeutete und sie schon seit Monaten darauf gewartet hatte, er möge etwas dieser Art sagen. Sie gingen mit Gefühlen auseinander, die sich nur schwer beschreiben lassen – sie waren voller Ressentiments und Hingabe, hassten einander und

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