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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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beteten sich gleichzeitig an. Bei alldem handelte es sich um tiefe, aufwühlende Emotionen, und als Künstler verstand Benvolio es stets, auf die eine oder andere Weise von Emotionen zu profitieren, selbst wenn sie ihn verletzten oder erstickten. Zudem empfand er eine Art Hochgefühl, weil er alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte, und er schwor sich, sein Glück, sein intellektuelles Glück, im Getümmel des Lebens und der Betriebsamkeit zu suchen. Er arbeitete nicht; seine Schaffenskraft war, zumindest für den Augenblick, gelähmt. Bisweilen fand er das
beunruhigend; es schien, als sei sein Talent erschöpft, seine Karriere schon vorzeitig beendet; dann wieder wuchs sein Vertrauen in schwindelerregende Höhen; er vernahm, in bruchstückhaftem Gemurmel, die Stimme der Muse und redete sich ein, er ruhe sich nur aus, er warte, sammle Erkenntnisse. Bald aber wurde er wieder etwas ruhiger; ihm kamen wieder Ideen, und die Welt erschien ihm wieder unterhaltsam. Er verlangte von der Gräfin, dass ihre Verbindung, ohne jede weitere Verzögerung, förmlich besiegelt werde. Doch die Gräfin war, ungeachtet ihrer Hochstimmung , über die Unterredung , die ich soeben geschildert habe, zutiefst erschrocken. Wie Benvolio so mit geballten Fäusten und zornigem Blick stolz auf und ab geschritten war, erschien ihr der Gedanke, diesen Mann zu heiraten, schrecklich; und obwohl sie wusste, dass sie einen starken Willen und starke Nerven besaß, hatte die Vorstellung, zu solchen Szenen könnte es häufiger kommen, sie schaudern lassen. Sie hatte bisher im Großen und Ganzen nur die sanfte und anregende Seite ihres Freundes kennengelernt, allenfalls noch die heitere und überspannte; doch nun zeigte sich, dass es noch eine andere Seite in Rechnung zu stellen galt und dass die Opfer, von denen Benvolio gesprochen
hatte, nicht allein er würde bringen müssen. Es heißt, die Welt liebt ihren Meister – ein feuriges Pferd einen guten Reiter. Dies mag letztendlich stimmen; doch die Gräfin, in hohem Maße eine Frau von Welt, war noch nicht bereit, unserem jungen Mann ihre kostbare Freiheit als Tribut darzubringen. Zwar bewunderte sie ihn nun, da sie ihn fürchtete, mehr als zuvor, doch gleichzeitig mochte sie ihn ein bisschen weniger. Sie erwiderte, dass die Ehe eine sehr ernste Angelegenheit sei; dass sie in jüngster Zeit eine Kostprobe ihrer jeweiligen Launen bekommen hätten; dass sie besser noch eine Weile warteten; dass sie sich entschlossen habe, ein Jahr auf Reisen zu gehen, und ihm eindringlich empfehle, sie zu begleiten, denn Reisen sei bekanntlich ein hervorragender Prüfstein für eine Freundschaft.

VII
    Sie fuhr nach Italien, und Benvolio fuhr mit; doch ehe er fuhr, stattete er seiner anderen Liebsten einen Besuch ab. Er schmeichelte sich, alle Brücken hinter sich abgebrochen zu haben, aber ihre Pfeiler standen unübersehbar noch. Allerdings verbrachte er eine sehr merkwürdige
halbe Stunde mit Scholastica und ihrem Vater. Das junge Mädchen hatte sich stark verändert; sie grüßte ihn kaum; sie sah ihn kühl an. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass ihr Gesicht einen solchen Ausdruck annehmen konnte; ihn bei ihr zu sehen, verwirrte ihn. Er hatte sie seit vielen Wochen nicht mehr besucht, und nun kam er, um ihr zu sagen, dass er für ein Jahr fortgehen werde. Dies war freilich nicht gerade dazu angetan, sie versöhnlich zu stimmen, doch sie hatte ihm allen Anlass gegeben zu glauben, sie beherrsche in höchster Vollendung die Kunst heiter-ergebenen Duldens, vertrauensvollen Sichfügens – Tugenden, die so anmutig ihre gewölbte Stirn zierten, dass der Gedanke, wie ausgesprochen gut sie ihr zu Gesicht standen, den Gewissensbissen die Schärfe nahm, die er darüber empfand, dass er ihr diese Tugenden abverlangte. Allerdings wirkte Scholastica jetzt älter und trauriger und zweifellos auch nicht mehr so hübsch. Ihre Gestalt war hager, ihre Bewegungen waren linkisch, ihre bezaubernden Augen matt. Schon nach der ersten Minute mied er diese bezaubernden Augen; sie flößten ihm Unbehagen ein. Ihre Stimme ließ sie ihn kaum hören. Der Professor war, wie stets, zurückhaltend und gelassen, unvoreingenommen und allem entrückt.
Etwas Frostiges lag in der Luft, ein Schatten hatte sich zwischen sie gedrängt. Benvolio ging sogar so weit, sich darüber zu wundern, dass er das junge Mädchen jemals anziehend gefunden hatte, und die Ernüchterung, die er in jenem Augenblick verspürte, verursachte ihm mehr Ärger als Schmerz. Er

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