James, Henry
werden, wo immer er hinfällt.«Ich habe ihr ganz gewiss nichts getan. Sie ist ein rechtschaffenes kleines Ding, und sie kann ja nichts dafür, dass sie so lächerlich unscheinbar ist.»Benvolio
sah sie fragend an, erkannte jedoch, dass er nichts von ihr erfahren würde, was sie ihm nicht aus freien Stücken erzählte. Als er so dastand, stellte er erstaunt fest, wie selbstverständlich es ihm erschien oder wie leicht es ihm zumindest fiel, ihr nicht zu glauben. Sie war bei dem jungen Mädchen gewesen; das erklärte alles; es erklärte vollauf Scholasticas peinigende Zurückhaltung. Was hatte die Gräfin gesagt und getan? Welchen teuflischen Streich hatte sie dem armen, unschuldigen Mädchen gespielt? Hilflos stellte er sich diese Fragen, doch er fühlte, dass ihr zuzutrauen war, sie zutiefst verletzt zu haben. Sie hatte ihm die Ehre angedeihen lassen, eifersüchtig zu sein, und um zu erreichen, dass Scholastica sich von ihm abwandte, hatte sie irgendeine abgefeimte Lüge über ihn erfunden. Er war angewidert und aufgebracht, und eine Woche lang begegnete er seiner Begleiterin mit grimmiger Gleichgültigkeit. Der Zauber war gebrochen, der Kelch der Freude geleert. Dies blieb der Gräfin nicht verborgen, die wütend über den Fehler war, den sie begangen hatte. Schließlich teilte sie Benvolio schroff mit, ihre Freundschaft habe die Probe nicht bestanden, sie müssten sich trennen, er täte ihr einen Gefallen, wenn er sich verabschiedete. Dazu ließ er sich kein zweites Mal auffordern,
sondern sagte ihr, vor den Augen ihres kleinen Gefolges, Lebewohl und verließ Italien allein in der Gesellschaft seiner Erinnerungen und Pläne, die ihn unablässig umschwirrten.
Zu Hause angekommen, begab er sich als Erstes in die Wohnung des Professors. Zum ersten Mal war der Stuhl des alten Mannes leer, und Scholastica befand sich nicht im Raum. Benvolio ging in den Garten hinaus, wo er, nachdem er hier und dort nachgesehen hatte, das junge Mädchen in einer dämmerigen Laube entdeckte. Scholastica war, wie üblich, schwarz gekleidet, doch sie hielt ihren Kopf gesenkt, ihre leeren Hände gefaltet, und ihr holdes Gesicht wirkte noch freudloser als damals, da er es zum letzten Mal gesehen hatte. Schien sie seinerzeit schon verändert, so war sie es jetzt doppelt. Benvolio blickte sich um, und da der Professor nirgends zu sehen war, erriet er sofort den Grund für ihre Betrübnis. Der gute alte Mann hatte sich zu seinen unsterblichen Brüdern, den klassischen Weisen, gesellt, und Scholastica war nun ganz allein. Sie schien erschrocken, Benvolio zu sehen, doch er nahm ihre Hand, und sie gestattete ihm, sich neben sie zu setzen.«Was immer man Ihnen über mich erzählt hat, das Sie schlecht von mir denken ließ, ist eine schändliche Lüge», sagte er.
« Ich empfinde die zärtlichste Freundschaft für Sie, und mehr denn je verlangt es mich, sie Ihnen zu beweisen.»Allmählich fasste sie Mut, seinem Blick zu begegnen; sie fand ihn vertrauenerweckend, und wenn sie Benvolio auch nicht verriet, auf welche Weise man sie gegen ihn aufgebracht hatte, ließ sie ihn schließlich glauben, ihr altes Vertrauen sei zurückgekehrt. Sie erzählte ihm, wie ihr Vater gestorben war und dass sie sich, ungeachtet der philosophischen Maximen, die er ihr hinterlassen hatte, um sie zu trösten, sehr einsam und hilflos fühle. Ihr Onkel hatte ihr spärliche, aber ausreichende Mittel zur Bestreitung ihres Unterhalts zugesagt; sie hatte die alte Dienstbotin bei sich behalten, damit diese ihr Gesellschaft leiste, und sie beabsichtigte, in ihrer gegenwärtigen Wohnung zu bleiben und ihre Zeit damit zu verbringen, die Schriften ihres Vaters zu sammeln und sie, entsprechend den genauen Anweisungen, die er hinterlassen hatte, der Welt zugänglich zu machen. Sie wirkte unwiderstehlich zart und anrührend, dabei aber doch würdevoll und unabhängig. Benvolio verliebte sich auf der Stelle erneut in sie und verzichtete nur darauf, ihr dies zu sagen, weil er sich gerade noch rechtzeitig erinnerte, dass er ja mit der Gräfin eine Verlobung eingegangen
und diese Übereinkunft noch nicht formell gelöst worden war. Sein Besuch bei Scholastica zog sich in die Länge, und sie gingen zusammen ins Haus und stöberten in den Büchern und Papieren des Vaters. Die wissenschaftlichen Aufzeichnungen des alten Gelehrten erwiesen sich als äußerst wertvoll; sie der Welt zugänglich zu machen würde eine nützliche und interessante Aufgabe sein. Als Scholastica hörte, mit welch hoher
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