James, Henry
seinen Freunden zurückkehrte, weil es der einfachste Weg war, sich reinzuwaschen. Und wie empfingen sie ihn? Ich habe Ihnen schon vor einer ganzen Weile erzählt, dass Scholastica in ihn verliebt war, und Sie mögen sich die Szene auf jede beliebige Art und Weise ausmalen, die diesem Umstand am besten Rechnung trägt. Ihre Bereitschaft, ihm zu vergeben, war, sowie diese Saite einmal angeschlagen wurde, natürlich nicht minder groß als ihr Unmut. Doch Benvolio flüchtete sich vor seinen eigenen Gewissensbissen wie auch vor den Vorwürfen des jungen Mädchens, in welcher Form auch immer diese vorgebracht wurden, in ein umfassendes Geständnis dessen, was er als seine Leichtfertigkeit zu bezeichnen beliebte. Als er mit Scholastica durch den kahlen Garten spazierte und dabei gegen das vertrocknete Laub trat, erzählte er ihr die ganze Geschichte seines Aufenthalts bei der Gräfin. Das junge Mädchen lauschte mit lebhafter Aufmerksamkeit, geradeso wie sie einer spannenden Passage aus einem Liebesroman gelauscht hätte; doch sie seufzte nicht, sie blickte auch nicht wehmütig drein, und sie schien weder
die Gräfin zu beneiden noch sich über ihre eigene Unkenntnis der feinen Welt zu grämen. Es war alles viel zu weit entfernt von ihrem eigenen Leben, um Vergleiche anzustellen; es war nichts, was für Scholastica je auch nur im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Benvolio erzählte ihr ganz freimütig von der Gräfin. Scholastica schien es zu gefallen, und Benvolio seinerseits stellte fest, dass es ihn erleichterte; und da er nichts sagte, was der Gräfin nicht geschmeichelt hätte, schadete es niemandem. Aber auch wenn Benvolio sich nur lobend über diese distinguierte Dame äußerte, bekannte er doch ganz offen, dass sie und ihr Lebensstil letztendlich jedes Mal bewirkten, dass er schlechter gelaunt fortging, als er gekommen war. Beide seien auf ihre Weise gut, sagte er, aber ihre Art und ihr Lebensstil seien nun einmal nicht die seinen – das scheine nur bisweilen so. Für ihn, davon sei er überzeugt, liege das einzig wahre Glück in den Wonnen des Studiums! Scholastica erwiderte, es bereite ihr große Genugtuung, das zu hören, denn ihr Vater sei der Meinung, Benvolio besitze eine hohe Begabung für philosophische Forschung und es sei eine heilige Pflicht, eine so seltene Gabe zu pflegen.
« Und was meinen Sie?», fragte Benvolio, als
er sich erinnerte, dass das junge Mädchen mehrere seiner Gedichte auswendig konnte.
« Meiner Meinung nach sind Sie ein Dichter», antwortete sie ganz schlicht.
« Und ein Dichter sollte nicht das Wagnis eingehen, ein Pedant zu werden?»
« Nein», antwortete sie,«ein Dichter sollte jedes Wagnis eingehen – selbst das, das für einen Dichter vielleicht den größten Greuel bedeutet. Doch er sollte alle Wagnisse unbeschadet überstehen! »
Benvolio hörte mit großer Genugtuung, dass der Professor der Ansicht war, er habe das Zeug zum Philosophen, und dies gab dem Eifer, mit dem er sich abermals an die Arbeit machte, neuen Auftrieb.
VI
Natürlich kann auch der eifrigste Student nicht immer nur arbeiten, und nach einem sehr philosophischen Tag verbrachte Benvolio häufig einen sehr gefühlvollen Abend bei der Gräfin. Als wahrheitsliebender Berichterstatter darf ich nicht verhehlen, dass er mit der Gräfin über Scholastica sprach. Er gab eine so verwirrende
Beschreibung von ihr, dass die Gräfin erklärte, sie müsse ein wahrlich wundersames Geschöpf sein, und meinte, es wäre gewiss äußerst unterhaltsam, sie kennenzulernen. Sie nahm nicht an, Benvolio könnte in diesen kleinen Bücherwurm in Unterröcken verliebt sein, doch um ganz sicherzugehen – wenn man das sichergehen nennen kann –, fragte sie ihn ganz gezielt danach. Er sagte nein; wie sollte er denn in Scholastica verliebt sein, wo er doch in die Gräfin verliebt war! Eine Weile lang beruhigte sie diese Antwort, doch als der Winter fortschritt, begann sie darüber nachzugrübeln, ob ein Mann denn nicht in zwei Frauen gleichzeitig verliebt sein konnte. Über viele Monate hinweg führte Benvolio nun eine Art Doppelleben. Bisweilen empfand er dies als äußerst reizvoll, und es gab ihm ein beflügelndes Gefühl persönlicher Macht. Er war ein häufiger Gast im Domizil seiner liebenswürdigen Nachbarn und sog gierig das gesammelte Wissen von Jahrhunderten in sich auf; und ebenso häufig erschien er im Salon der Gräfin, wo er seine Rolle mit außerordentlicher Begeisterung und Inbrunst spielte. Es war ein
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