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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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abwechslungsreiches Leben voller Gegensätze, und es erforderte wahrlich ein energiegeladenes und anpassungsfähiges Naturell. Mitunter
schien ihm das seine der Situation nicht ganz gewachsen – er fühlte sich fiebrig, verwirrt, erschöpft. Doch wenn es darum ging, sich für das eine oder das andere zu entscheiden, vermochte er weder seine auf weltliche Genüsse gerichteten Gewohnheiten noch seine der Gelehrsamkeit verpflichteten Ambitionen aufzugeben. Benvolio raste innerlich vor Empörung ob der grausamen Beschränktheit des menschlichen Geistes und erklärte, es sei eine Schande, dass ein Mann nicht imstande sei, alles, was er sich vorstellen könne, auch tatsächlich zu tun. Ich kann nicht sagen, wie die Gräfin es anstellte, doch sie war zu dieser Zeit anziehender denn je. Ihre Schönheit besaß plötzlich eine strahlendere, wärmere Note, und sie hatte eine ganz eigene Art, einen anzusehen, denn wenn sie sich mit vage vorwurfsvollem Blick langsam abwandte, lag darin gleichzeitig eine Ermutigung, die in manch jugendlicher Brust eine aussichtslose Leidenschaft entfachte. Eines Tages war Benvolio in der Stimmung, seine Komödie zu vollenden, und die Gräfin und ihre Freunde führten sie auf. Der Erfolg war nicht weniger glänzend als der seines ersten Stücks, und der Theaterdirektor erbat sich sogleich das Privileg, das Werk auf die Bühne bringen zu dürfen. Sie werden mir wohl
kaum glauben, wenn ich Ihnen sage, dass der exzentrische Autor an dem Abend, da seine Komödie der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, mit dem Professor und seiner Tochter zusammensaß und mit ihnen über das Absolute und das Relative diskutierte. Schon den ganzen Winter über war Benvolio aufgefallen, dass Scholastica nie hübscher aussah, als wenn sie des Abends im warmen Lichtschein einer bestimmten alten Messinglampe saß und beschaulich mit ihrer Sticknadel hantierte. An dem zur Debatte stehenden Abend musste er plötzlich an dieses Bild denken, und er stapfte eigens durch den Schnee, um es sich anzusehen. Es war noch lieblicher, als seine Erinnerung es ihm verheißen hatte, und verbannte jeglichen Gedanken an seinen Theaterruhm aus seinem Kopf. Scholastica schenkte ihm eine Tasse Tee ein, und ihr Tee war, aus unerfindlichen Gründen, köstlich; besser, merkwürdigerweise, als der der Gräfin, die indes, wie man hinzufügen muss, beim Kaffee Boden gutmachen konnte. Der geizige Bruder des Professors besaß ein Schiff, das Fahrten nach China unternahm und stattliche Kisten der unvergleichlichen Pflanze nach Hause brachte. Er verkaufte die Ladung für beträchtliche Summen, eine Kiste behielt er jedoch für sich selbst. Es
war stets die beste, und damals hatte er gerade einen Teil seines jährlichen Almosens, sorgfältig abgemessen, zu einem Päckchen verpackt und es Scholastica überreicht. Dies ist das Geheimnis von Benvolios duftendem Tee. Während er ihn an dem Abend, von dem ich spreche, trank – ich schäme mich zu sagen, wie viele Tassen es waren – wurde im Theater sein Name über die Rampenlichter hinweg einer erlesenen, lautstark Beifall zollenden Menge zugerufen, die ihn als den Retter der nationalen Bühne feierte. Aber ich bin nicht einmal sicher, ob er seinen Freunden überhaupt erzählte, dass gerade sein Stück aufgeführt wurde. Tatsächlich war dies kaum möglich, wollte ich doch eben sagen, dass er selbst es ganz vergessen hatte.
    Fest steht indes, dass er am nächsten Tag die Kritiken in den Zeitungen genoss. Strahlend und frohlockend suchte er, ein halbes Dutzend davon in der Tasche, die Gräfin auf. Doch die empfing ihn mit schrecklich finsterer Miene. Sie war im Theater gewesen, darauf eingestellt, seinen Triumph in vollen Zügen auszukosten – ihm gleichsam mit eigenen Händen den Lorbeerkranz aufs Haupt zu setzen, den das Publikum ihm zuerkannt hatte –, und hatte sein Fernbleiben als eine Art persönlicher Kränkung empfunden.
Dennoch hatte sein Triumph ihr außerordentliches Wohlgefallen bereitet, war er doch die Bestätigung der Hoffnungen, die sie im Stillen auf ihn gesetzt hatte. Zweifellos würde aus ihm ein bedeutender Mann werden, und dies war nicht der Augenblick, ihn gehen zu lassen! Zudem hatten seine Gleichgültigkeit, sein Mangel an Beflissenheit, seine Fähigkeit, über die ihm zuteilwerdenden Ehrungen so einfach hinwegzugehen, etwas Edles. Lediglich ein intellektueller Krösus, sagte sich die Gräfin, konnte es sich leisten, Ruhm derart geringzuschätzen. Doch sie bestand darauf, zu erfahren,

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