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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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wo er gewesen war, und er erzählte ihr, er habe mit dem Professor über Philosophie und Tee diskutiert.
    « Und war die Tochter nicht auch dabei?», wollte die Gräfin wissen.
    « Gewiss doch!», rief er. Und nach einem Moment fügte er hinzu:«Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon einmal gesagt habe, aber sie ist beinahe genauso hübsch wie Sie.»
    Die Gräfin ärgerte sich über das Kompliment für Scholastica weit mehr, als sie sich über das Kompliment freute, das er ihr selbst gemacht hatte. Sie war äußerst neugierig darauf, diese tintenfingrige Sirene zu sehen, und da sie, früher oder später, immer bekam, was sie wollte, gelang
es ihr schließlich auch, einen Blick auf ihre unschuldige Rivalin zu erhaschen. Dazu musste sie allerdings alle möglichen Hebel in Bewegung setzen. Sie veranlasste Benvolio, in seinen Räumen ein Gabelfrühstück für einige Damen zu geben, die den Wunsch geäußert hatten, seine Kunstwerke zu sehen, und zu deren Begleiterin sie sich selbst ernannt hatte. Sie sorgte dafür, dass er ihnen Zutritt zu einem bestimmten Nebenraum gewährte, der auf den Garten hinausging, und dort am Fenster verbrachte sie den Großteil ihrer Zeit. Es bestand nur eine kleine Chance, dass Scholastica in den Garten herauskam, doch es war eine Chance, auf die zu setzen der Mühe wert war. Die Gräfin wappnete sich mit Zeit und Geduld und wurde schließlich belohnt. Scholastica kam heraus. Das arme Mädchen spazierte eine halbe Stunde lang umher, ohne sich auch nur im Geringsten bewusst zu sein, dass die Gräfin sie mit ihren schönen Augen verschlang. Der Eindruck, den sie hinterließ, war zwiespältig. Die Gräfin fand sie hübsch und hässlich zugleich: Ihr selbst erschien sie nicht bewundernswert, doch konnte sie verstehen, dass Benvolio an ihr Gefallen gefunden hatte. Sie persönlich verabscheute sie, und als Scholastica ins Haus zurückkehrte und die Gräfin sich vom Fenster
abwandte, trat sie als Erstes vor einen Spiegel, der ihr etwas zeigte, was ihr, unvoreingenommen betrachtet, tausendmal schöner schien. Die Gräfin verlor kein Wort über die Sache und achtete sorgsam darauf, dass Benvolio nicht merkte, welchen Streich sie ihm gespielt hatte. Noch etwas schwor sie sich zu tun, und ungeduldig wartete sie auf eine günstige Gelegenheit.
    Mitten im Winter verkündete sie Benvolio, dass sie zehn Tage auf dem Land verbringen wolle; sie habe die reizvollsten Schilderungen der augenblicklichen Verhältnisse auf ihrem Landgut erhalten. Es habe ergiebige Schneefälle gegeben, und die Bedingungen zum Schlittenfahren seien hervorragend; die Seen und Bäche seien zugefroren, der Mond scheine vom wolkenlosen Himmel, und der ansässige Landadel vergnüge sich die halbe Nacht damit, im Schein von Fackeln eiszulaufen. Die Gräfin liebte Schlittenfahren und Eislaufen gleichermaßen, und sie fand die Aussicht darauf unwiderstehlich. Und dann zeigte sie sich von ihrer mildtätigen Seite und bemerkte, dass sie dem armen Landadel vor Ort, dessen Vergnügungen sonst eher bescheidener Art seien, eine Gefälligkeit erweise, wenn sie ihr Haus öffne und ein, zwei Bälle gebe, auf denen die Fiedler aus dem Dorf aufspielten.

    Vielleicht könne man ja sogar eine Bärenjagd organisieren – ein Zeitvertreib, bei dem, sofern er ordentlich durchgeführt werde, eine Dame durchaus als Zuschauerin teilnehmen könne. All dies erzählte die Gräfin Benvolio eines Tages, als er, zu der Stunde, die dem Abendessen vorausgeht, mit ihr in ihrem Boudoir im Feuerschein des Kamins saß. Mehr als einmal hatte sie gesagt, dass er aufbrechen müsse – dass sie sich umziehen müsse; doch keiner der beiden hatte sich von der Stelle gerührt. Sie lud ihn nicht ein, sie aufs Land zu begleiten; sie beobachtete ihn lediglich, wie er dasaß und mit gerunzelter Stirn auf das Feuer im Kamin starrte – auf die knisternden, hell lodernden großen Holzscheite, die in den von Bären bewohnten Wäldern der Gräfin geschlagen worden waren. Zu guter Letzt erhob sie sich ungeduldig und warf ihn geradezu hinaus. Nachdem er gegangen war, blieb sie, die Fußspitze auf dem Kamingitter, einen Augenblick stehen und sah ins Feuer. Sie brauchte nicht lange zu warten; er kam noch in derselben Minute zurück – kam zurück und bat um ihre Erlaubnis, sie aufs Land begleiten, mit ihr im kristallenen Mondlicht eislaufen und zum Klang der Dorfgeigen tanzen zu dürfen. Es spielt wohl kaum eine Rolle, mit welchen Worten ihm seine
Bitte gewährt wurde; entscheidend ist,

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