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James, Henry

James, Henry

Titel: James, Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benvolio
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Byrons Versen zu zitieren, was mir aber nur unzulänglich gelang.
    Sie fächelte sich einen Moment lang Luft zu und zitierte dann ihrerseits die betreffenden Zeilen mit sanfter, dünner, aber doch angenehmer Stimme. Als sie geendet hatte, waren ihre Wangen gerötet. Ich äußerte mich anerkennend und erklärte, sie sei bestens gerüstet für einen Besuch der Schweiz oder Italiens. Wieder sah sie mich prüfend an, bemüht, herauszufinden, ob ich es ernst meinte, und ich fügte hinzu, wenn sie die von Byron beschriebenen Orte noch sehen wolle, müsse sie sich bald auf die Reise begeben:
Europa sei im Begriff, schmerzlich entbyronisiert zu werden.
    « Wie bald?», fragte sie.
    « Nun, ich würde sagen, innerhalb der nächsten zehn Jahre.»
    « Ich denke, innerhalb der nächsten zehn Jahre werde ich die Reise machen können», antwortete sie ganz sachlich.
    « Es wird Ihnen außerordentlich gut gefallen», sagte ich,«Sie werden entzückt sein.»Just in jenem Augenblick stieß ich auf die Photographie eines hübschen Winkels in einer fremden Stadt, den ich sehr gemocht hatte und der zärtliche Erinnerungen in mir wachrief. Ich sprach (wie ich vermute) mit einer gewissen Beredsamkeit; meine Gefährtin hörte mir gebannt zu.
    « Waren Sie sehr lange im Ausland?», fragte sie, als ich schon eine ganze Weile geschwiegen hatte.
    « Viele Jahre», sagte ich.
    « Und waren Sie überall?»
    « Ich bin weit herumgekommen. Ich reise gern und war glücklicherweise auch dazu in der Lage.»
    Wieder sah sie mich mit ihrem prüfenden Blick an.«Und beherrschen Sie die fremden Sprachen?»

    « So einigermaßen.»
    « Sind sie schwer zu erlernen?»
    « Ich glaube nicht, dass es Ihnen schwerfallen würde», erwiderte ich galant.
    « Ich möchte sie ja auch gar nicht sprechen – ich möchte nur zuhören», sagte sie. Und nach einer Pause fügte sie hinzu:«Es heißt, das französische Theater sei so schön.»
    « Es ist das beste der Welt.»
    « Waren Sie oft im Theater?»
    « Als ich das erste Mal in Paris war, jeden Abend.»
    « Jeden Abend!»Sie öffnete ihre klaren Augen weit.«Das erscheint mir» – sie zögerte einen Moment –«das erscheint mir ganz wundervoll.»Ein paar Minuten später fragte sie:«Welches Land mögen Sie am liebsten?»
    « Es gibt ein Land, das ich allen anderen vorziehe. Ich denke, Ihnen erginge es ähnlich.»
    Sie sah mich einen Augenblick an und sagte dann leise:«Italien?»
    « Italien», antwortete ich, ebenfalls leise, und einen Moment lang trafen sich unsere Blicke. Sie sah so hübsch aus, als hätte ich ihr den Hof gemacht und nicht nur Photographien gezeigt. Dieser Eindruck wurde dadurch noch verstärkt, dass sie sich errötend abwandte. Ein Schweigen
trat ein, das sie schließlich mit den Worten brach:«Dorthin vor allem wollte ich reisen.»
    « O ja, das müssen Sie – das müssen Sie unbedingt!», sagte ich.
    Schweigend betrachtete sie zwei, drei Photographien.« Es heißt, es sei nicht so teuer.»
    « Wie manch andere Länder? Ja, das ist einer der Reize Italiens, und nicht der geringste.»
    « Aber insgesamt ist doch alles sehr teuer, nicht wahr?»
    « Sie meinen Europa?»
    « Die Überfahrt und das Reisen dort. Darin besteht die Schwierigkeit. Ich habe sehr wenig Geld. Ich unterrichte», sagte Miss Spencer.
    « Natürlich braucht man Geld», sagte ich,« aber man kann durchaus auch mit einer bescheidenen Summe auskommen.»
    « Ich denke, das könnte ich. Etwas Geld habe ich schon zurückgelegt, und ich lege immer noch ein wenig mehr zurück. Es ist einzig und allein dafür bestimmt.»Sie hielt einen Moment inne und fuhr dann mit einer Art unterdrücktem Eifer fort, als wäre es ein seltenes, aber möglicherweise unmoralisches Vergnügen, mir die Geschichte zu erzählen.«Aber es ist nicht nur das Geld; es ist einfach alles. Alles hat sich gegen mein Vorhaben verschworen. Ich habe gewartet und gewartet.
Es war immer bloß ein Wunschtraum. Ich habe beinahe Angst, darüber zu sprechen. Zwei-, dreimal schien seine Erfüllung ein wenig näher zu rücken, doch dann habe ich darüber gesprochen, und alles hat sich wieder in Luft aufgelöst. Ich habe zu viel darüber geredet», sagte sie ein wenig heuchlerisch, denn es war unübersehbar, dass dieses Darüber-Reden sie jetzt geradezu vor Wonne erbeben ließ.«Es gibt da eine Dame, mit der ich eng befreundet bin; sie will nicht nach Europa; ihr erzähle ich immer davon. Ich langweile sie schrecklich. Sie sagte einmal, sie wisse nicht, was aus mir werden

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