Jan Fabel 05 - Walküre
so.«
»Ehrlich gesagt, da ist was dran«, meinte Fabel. Er seufzte. »Also, was liegt vor?«
»Das Opfer ist Jake Westland, dreiundfünfzig Jahre alt, britischer Staatsbürger«, las Werner aus seinem Notizbuch vor. »Ja, der Jake Westland. Laut unseren Informationen hat er einen unerwarteten Spaziergang um die Reeperbahn gemacht. Und zwar nicht, um den Geist der Beatles einzufangen, wenn du's genau wissen willst. Seltsam - ich hätte gedacht, dass er vor allem an den Schwulenbars interessiert wäre. Schließlich ist er Engländer.«
Fabel reagierte mit ungeduldiger Miene auf Werners Scherz.
»Ich weiß nicht, warum sie es tun«, fuhr der Oberkommissar fort. »Diese Promis, meine ich. Jedenfalls ist Westland in die Herbertstraße verschwunden, um seine Leibwächter abzuschütteln. Als Nächstes findet ihn eine Dame vom Gewerbe, die unterwegs zum Kiez ist, und sein Inneres ist nach außen gewendet. Er sagt, seine Angreiferin habe behauptet, der Engel zu sein. Dann hat er das Bewusstsein verloren.«
»Wie ist sein Zustand?«
»Im Krankenwagen hat er noch gelebt. Anscheinend verstand das Mädchen, das ihn gefunden hat, etwas von Erster Hilfe. Aber ich vermute, seine Produzenten planen schon eine Gedenk-CD mit seinen größten Hits.«
»Das Mädchen, das ihn gefunden hat, ist hinten«, sagte Anna Wolff. Sie tauschte einen Blick mit Werner aus, und ihr rot geschminkter Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Außerdem seine Leibwächter. Ich dachte mir, du würdest sie gern persönlich vernehmen.«
»In Ordnung, Anna«, seufzte Fabel. »Gibt es irgendein Problem?«
»Westland wurde vom Sicherheits- und Personenschutzdienst Schilmann betreut.«
»Martina Schilmann?«
»Ihr beide habt euch nahegestanden, wie ich höre?«
»Martina Schilmann war eine ausgezeichnete Polizistin«, erwiderte Fabel.
»Dann muss sie damals bessere Arbeit geleistet haben als jetzt«, warf Werner ein.
Ein uniformierter Oberrat trat zu ihnen. Er war kleiner als Fabel und hatte dichte dunkle, ungebärdige Haare. »Was ich wirklich wissen möchte«, sagte er streng, während er Fabel die Hand schüttelte. »Hat jemand ein Autogramm von ihm gekriegt?«
»Hallo, Carsten«, erwiderte Fabel grinsend. »Du reißt also immer noch deine geschmacklosen Witze.«
»Lässt sich nicht vermeiden.« Carsten Kaminski war Leiter des Polizeikommissariats 15, also der Davidwache. Dieses Revier war zuständig für den Kiez, das 0,7 Quadratkilometer große Rotlichtviertel mit der Reeperbahn als Mittelpunkt. An jedem Wochenende strömten über zweihunderttausend Besucher durch das Viertel. Manche davon waren betrunken, und manche büßten ihre Brieftasche oder andere Wertsachen ein. Und für einige endete der Abstecher ins Abenteuer mit einer wirklichen Katastrophe.
Die Schutzpolizisten der Davidwache benötigten eine besondere Fähigkeit: Sie mussten kommunikationsfähig sein. Der Kiez war eine von Zuhältern und Prostituierten sowie von kleinen und weniger kleinen Gaunern bevölkerte Gegend. Sie wurde unter anderem von jungen Männern aus den Vorstädten besucht, die häufig zu rasch und zu viel tranken. Die meisten Situationen, die die Beamten der Davidwache zu bewältigen hatten, erforderten Fingerspitzengefühl und Humor. Nicht wenige Nachtschwärmer wurden dazu überredet, friedlich nach Hause zu fahren, statt in eine Zelle eingesperrt zu werden.
Carsten Kaminski war in St. Pauli geboren worden und hier aufgewachsen, und niemand war so sehr wie er mit dem Rhythmus und der wechselnden Atmosphäre des Kiez vertraut. Außerdem besaß er den für St. Pauli typischen bodenständigen Humor.
»Was genau hat es mit dem Protest auf sich?«, hakte Fabel noch einmal nach.
»Es handelt sich um eine Gruppe namens Muliebritas. Genauer gesagt, sind die Teilnehmerinnen von der feministischen Zeitschrift Muliebritas zum Protest aufgerufen worden«, erklärte Kaminski. »Sie sind in die Herbertstraße geströmt, und es wäre fast zu einer handfesten Auseinandersetzung mit den Nutten gekommen. So etwas wäre an sich schon schlimm genug gewesen, aber da sich auch noch der Vorfall mit Westland abgespielt hat ... Wir haben sie aufgefordert, sich zu entfernen, weil sie einen Tatort kontaminierten und die Ermittlungen behinderten, aber eine einvernehmliche Zusammenarbeit mit der Polizei schien ihnen fremd zu sein.« Wiederum ertönte Geschrei aus den Zellen, als sollten seine Worte unterstrichen werden. »Egal, du bist nicht
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