Jan Fabel 05 - Walküre
... Worum geht's?«
»Darum, dass er nicht zu dem Interview aufkreuzen wird. Er hat sich schon ausgekotzt ... auf der Reeperbahn. Und Chef, er sagt, dass ihn eine Frau aufgeschlitzt hat. Dann hat sie ihm befohlen, uns mitzuteilen, wer sie ist. Nämlich der Engel...«
»Shit.« Fabel benutzte das englische Wort und schaute zu seiner Exfrau hinüber. Das Feuer war erloschen; ihre Miene ließ nun eine abweisende Resignation erkennen wie immer, wenn seine Arbeit ihn zwang, sich zu entfernen. »Ich komme sofort.«
Man hatte Westland durch die Stadt zur Notaufnahme ins Krankenhaus St. Georg gefahren, und da er nicht vernehmungsfähig war, machte sich Fabel über die Ost-West-Straße zur »Sündigen Meile« Hamburgs auf: der Reeperbahn. Wo Seilmacher einst Taue oder Reepe für Segelschiffe gedreht hatten, wodurch die Reeperbahn zu ihrem Namen gekommen war, funkelten nun die Neonlichter von Stripclubs und Sexshops, Bars und Theatern in der eisigen Nacht. Als Fabel an der Davidwache eintraf, war er schlechter Laune. Das Treffen mit Renate war so verdrießlich verlaufen wie erwartet, und er hatte zudem seinen MP3~Player verloren. Immer wenn er gestresst war, verband er das Gerät mit der Stereoanlage seines BMW. Keine Musik, mehr Stress.
Die Presseleute hatten sich bereits in großer Zahl vor der Davidwache versammelt, und drei Uniformierte hielten sie in Schach. Neben dem Medienzirkus vor dem Revier hatte sich ein weiterer Tumult in der Davidstraße um die Ecke entwickelt. Junge Beamte der Bereitschaftspolizei in Schutzausrüstung versuchten, sich widersetzende Frauen in große grüne Polizeiwagen zu laden. Einige Medienvertreter waren in die Davidstraße gelaufen, um Aufnahmen von der Nebenattraktion zu machen, aber trotzdem wurde Fabel von einer Blitzlichtsalve begrüßt, als er von seinem Auto zur Doppeltür der Davidwache eilte. Ein Fernsehnachrichtenteam hatte sich nach vorn gedrängt. Fabel erkannte die Reporterin Sylvie Achtenhagen, die für einen der Satellitenkanäle arbeitete. Wunderbar, dachte er, als wäre das Medieninteresse nicht genug, habe ich nun auch noch dieses Biest am Hals.
»Erster Hauptkommissar Fabel« - Achtenhagen betonte seinen vollständigen Rang für die Aufnahme —, »können Sie bestätigen, dass das Opfer dieses Überfalls der britische Sänger Jake Westland ist?«
Fabel ignorierte sie und ging weiter.
»Und stimmt es, dass es das Werk des sogenannten Engels von St. Pauli war? Der Serienmörderin, die die Polizei Hamburg in den Neunzigerjahren nicht hat fassen können?« Da er immer noch nicht reagierte, fuhr sie fort: »Dürfen wir annehmen, dass Ihre Hinzuziehung als Leiter der geplanten >Super-mordkommission< auf die Bedeutung des Vorfalls hinweist? Haben Sie den Auftrag, die Fehler zu korrigieren, die die Polizei Hamburg bei den ursprünglichen Ermittlungen gemacht hat?«
Fabel versteckte seinen Ärger hinter einer Maske des Gleichmuts und wandte sich der Reporterin zu. »Die Presseabteilung des Polizeipräsidiums wird zu gegebener Zeit eine ausführliche Erklärung abgeben. Sie sollten das Prozedere inzwischen kennen, Frau Achtenhagen.«
Er drehte ihr den Rücken zu, ging durch die Doppeltür und stieg die Treppe zur Davidwache hinauf. Der kleine Empfangsbereich war mit Beamten gefüllt. Er hörte Rufe aus den hinten links liegenden Zellen.
Fabel wurde von einem stämmigen, über fünfzigjährigen Mann mit Stoppelhaar sowie von einer hübschen dunkelhaarigen Frau empfangen, die Jeans und eine übergroße Bikerjacke trug. Fabel nickte Kriminaloberkommissar Werner Meyer und Kriminalkommissarin Anna Wolff grimmig zu. »Wie zum Teufel hat Achtenhagen von der Verbindung zum Engel erfahren?«, fragte er.
»Mit Geld geht alles«, sagte Anna Wolff. »Die Tussi schreckt nicht davor zurück, die Unfallwagenbesatzung oder das Krankenhauspersonal zu bestechen, um sich eine Exklusivmeldung zu verschaffen.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Die hat uns noch gefehlt. Ihre ganze Karriere ist praktisch auf dem Engel-Fall aufgebaut.« Er nickte in Richtung des Tumults draußen in der Davidstraße. »Was ist da los?«
»Ein Fall von perfektem Timing«, antwortete Werner. »Eine Feministinnengruppe hat beschlossen, ausgerechnet heute Abend einen Protest abzuhalten. Sie sind in die Herbertstraße einmarschiert, weil sie es empörend finden, dass eine Hamburger Straße für Frauen nicht zugänglich ist. Ein Verstoß gegen ihre Menschenrechte oder
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