Jan Fabel 05 - Walküre
Geheimpolizei und Spionagebehörde der Welt ersonnen hat?« Fabel lächelte herablassend.
Sandra Kraus trommelte erneut mit den Fingern auf den Tisch, trank einen Schluck Kaffee und begann dann forsch: »Ich verfüge über einen Vorteil, den der Geheimdienst nicht hatte. Eine angeborene Fähigkeit, Muster zu erkennen. Was Sie für komplex halten, erscheint mir als Struktur und letztlich als leicht zu entschlüsselnde Botschaft.«
»Das ist erst der Anfang«, sagte Anna. »Ich habe alle Nummern von Muliebritas aus den letzten drei Jahren besorgt. Drescher hat sie regelmäßig benutzt, um sich mit den Walküren zu verständigen, und Sandra hat Dutzende seiner Nachrichten entschlüsselt.«
»Das war wirklich nicht sehr schwer. Die Person, die sich in den Anzeigen >Onkel Georg< nannte, hat eine Kombination aus polyalphabetischen Chiffren verwendet. Im Wesentlichen ein Vigenere-Quadrat mit gestaffelten Cäsar-Chiffren. Elementares Zeug. Zum Beispiel ...«
Sie holte einen Block und einen Bleistift aus ihrer riesigen Umhängetasche hervor und schrieb: ALTONAERBALKON-SECHZEHNDREISSIGDONNERSTAG. Fabel bemerkte, dass sie eine perfekte Handschrift hatte: Die Großbuchstaben fügten sich genau in die Linien auf dem Block ein.
»Daraus wird WLEYHRFWLVHJIYHROBEHNETJCX-HKNYLOCJXWG. Ein so langer Buchstabensalat würde jedem Leser natürlich stark auffallen und die Beachtung von Kryptologen finden. Deshalb hat er die Buchstaben in mehreren Bekanntschaftsanzeigen im Inseratenteil versteckt. Er gab Dankanzeigen auf, in denen Namen erwähnt wurden. Die Initialen jeder Annonce enthielten einige der verschlüsselten Buchstaben.«
»Und Sie sind sich absolut sicher, dass Sie die Codes richtig interpretiert haben?«, erkundigte sich Fabel.
»Wie gesagt, es war eine ziemlich einfache Verschlüsselung. Aber die Vigenere-Chiffre galt dreihundert Jahre lang als nicht zu knackender Code, weil man wissen musste, welcher Begriff als Schlüsselwort diente. Also welche vertikalen Buchstaben die Achse des Vigenere-Quadrats bilden.«
»Und Sie haben es herausgekriegt?«, fragte Fabel. »Wie denn?«
»Ich habe es einfach gesehen, weil ich eine Begabung für die Frequenzanalyse von Buchstaben und für das Erkennen häufiger Kombinationen habe. Daher konnte ich die Muster in den Inseraten identifizieren. Eigentlich kann man nur bei monoalphabetischen Chiffren eine Frequenzanalyse vollziehen, nicht bei einer polyalphabetischen Chiffre wie dieser, in der ein verschlüsselter Buchstabe auf mehrfache Art entschlüsselt werden könnte.«
»Aber Sandra ist dazu fähig«, sagte Anna mit offensichtlichem Stolz auf die Begabung ihrer Freundin. »Nenn ihm das Schlüsselwort, Sandra.«
»Walküre ohne Umlaut«, antwortete Sandra Kraus und trommelte mit den Fingerspitzen wieder die gleichen Rhythmen auf die Tischplatte. »Das Schlüsselwort war Walküre.«
Während der Fahrt zurück ins Präsidium saß Anna am Lenkrad, und Fabel begann auf dem Beifahrersitz, die von Sandra Kraus entschlüsselten Botschaften durchzugehen.
»Es handelt sich hier ausschließlich um Zeiten und Orte«, sagte Fabel über die Schulter hinweg zu Karin Vestergaard, die sich auf dem Rücksitz niedergelassen hatte. »Offenbar hat er alles Übrige persönlich weitergegeben. Dies hier wurde nur benutzt, um sich zu verabreden.«
»Was bedeutet, dass wir nun genau das Gleiche tun können«, bemerkte Karin Vestergaard. »Wir können diese Walküre auf freies Feld locken. Vorausgesetzt, sie weiß nichts von Dreschers Tod.«
»Wir halten die Sache weiter unter Verschluss, aber ich weiß nicht, wie lange uns das noch gelingt.« Fabel wandte sich Anna zu. »Du hast eine interessante Freundin.«
»Sandra? Sie ist toll. Und sie hat den IQ eines Genies.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte Fabel mit einem schwachen Lächeln.
»Außerdem ist sie eine Aspie.«
»Eine was?«
»Hast du mitgekriegt, wie sie dauernd mit den Fingern trommelt? Immer der gleiche Rhythmus, immer die gleiche Zahl von Takten. Oder ihre entnervende Angewohnheit, mit jedem Augenkontakt herzustellen?«
»Das ist mir nicht entgangen«, erwiderte Fabel.
»Sandra leidet unter dem Asperger-Syndrom und bezeichnet sich selbst als Aspie. Sie sieht sich nicht als Behinderte, sondern nur als anders, was sie für cool hält. Und sie unterstützt eine Gruppe, die sich für die Tolerierung von Neurodiversität einsetzt - also die Auffassung vertritt, dass es unterschiedliche
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