Jan Fabel 05 - Walküre
allem bosnische Serben - früher geglaubt haben. Es ist so etwas wie ein heidnischer Dämon oder Werwolf. Die psoglav-Einheit war kaum mehr als eine organisierte Verbrecherbande, und genau dazu wurde sie nach dem Konflikt. Man sprach davon - allerdings war es nur ein Gerücht -, dass Vujacic und seine psoglav-Kumpel nach dem Bosnienkrieg intensiv in den Menschenhandel verwickelt waren. In alle möglichen Gräuel: Organentnahme, Verkauf von Frauen in die Prostitution, Sklavenhandel für Ausbeutungsbetriebe und so weiter. Aber darüber müssen Sie mit der Europol-Abteilung Organisierte Kriminalität sprechen. Meines Wissens war Vujacic in Nordeuropa nicht direkt aktiv. - Tut mir leid, das ist wohl wenig hilfreich?«
»Ich bin Ihnen trotzdem dankbar«, meinte Fabel.
»Eines möchte ich noch hinzufügen«, fuhr Lange fort. »Vujacic war einer der schlimmsten Hurensöhne auf dieser Erde. Die Geschichten darüber, was er mit Bosniaken, Kroaten und ethnischen Albanern anstellte ... besonders mit Frauen ... Sie können mir glauben, dass ich dort draußen genug Bestien gesehen habe, aber Vujacic gehörte mit zu den Schlimmsten. Leider geht es nicht immer darum, wer am ehesten einen Prozess verdient hätte, sondern darum, gegen wen Beweismaterial vorliegt. Vujacic war solch ein gerissener kleiner Dreckskerl, dass wir nie mehr als Gerüchte über ihn hörten. Ein Polizist sollte sich so etwas vielleicht verkneifen, aber als er umgebracht wurde, war meine erste Reaktion, dass er es nicht anders verdient hatte. Schade ist nur, dass er nicht so leiden musste wie die Menschen, die ihm in die Hände gefallen sind.«
Fabel nickte und betrachtete Lange. Sogar in diesem Beruf, dachte er, gibt es Dinge, die man besser nicht sehen oder wissen sollte. In jenem Moment begriff er, dass er sich mit jemandem unterhielt, dessen Träume noch finsterer, noch erschreckender als seine eigenen waren.
»Danke, Michael«, sagte Fabel. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, geben Sie mir bitte Bescheid.«
Fabel und Karin Vestergaard hatten gerade die Drehtür hinter sich gelassen und betraten den hellen zweistöckigen Empfangsinnenhof des Polizeipräsidiums in Alsterdorf, als sie von der entschlossen wirkenden Anna Wolff aufgehalten wurden.
»Zieht gar nicht erst den Mantel aus«, empfahl sie mit einem Grinsen. »Wir nehmen deinen Wagen, Chef. Ich zeige dir den Weg. Da ist jemand, mit dem ich dich bekannt machen möchte.«
Das Cafe, zu dem Anna sie führte, lag in der Fußgängerzone am Sachsentor in Hamburg-Bergedorf. Dort wurden sie von einer jungen Frau mit einem hübschen, doch recht strengen Gesicht und langen dunklen Haaren erwartet. Neben Sandra Kraus stand ein mächtiger Leinwandbeutel, dessen Riemen sie noch über die Schulter gelegt hatte. Während Fabel, Vestergaard und Anna sich näherten, klopfte sie mit den Fingerspitzen auf den Tisch, als wolle sie die drei mit einem Trommelwirbel begrüßen. Sie stand nicht auf, lächelte die Polizisten jedoch an. Fabel wurde an Karin Vestergaards Lächeln erinnert, das ebenfalls nicht die Augen zu erreichen schien.
»Ich kenne Sandra seit unserer Kindheit«, sagte Anna, nachdem sie die Vorstellung abgewickelt hatte. »Sie war unsere Schulbeste. Und sie ist eine glänzende Kryptologin.«
»Tatsächlich?« Fabel zeigte Interesse, warf Anna jedoch einen forschenden Blick zu. Er wurde ein wenig abgelenkt, als Sandra Kraus wieder mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte. Die Intensität ihrer Augen war beunruhigend, als betrachte sie ihn nicht als Menschen, sondern als Gegenstand.
»Ja ... tatsächlich«, erwiderte Anna mit einigem Trotz. »Und du kannst sicher sein, dass es keine Zeitverschwendung ist, sich hier mit Sandra zu treffen. Ich habe ihr ein Exemplar von Muliebritas gegeben. Es ist die gleiche Ausgabe wie die, die wir in Dreschers Wohnung gefunden haben.«
»Weiß sie ... ?«
Anna schüttelte den Kopf. »Du hast uns doch befohlen, die Drescher-Sache unter Verschluss zu halten, und genau das habe ich getan. Sandra weiß nur, dass wir vielleicht eine verschlüsselte Nachricht in dieser Zeitschrift finden können. Das ist sowieso das Einzige, was sie interessiert.«
»Und hat sie etwas gefunden?«, fragte Karin Vestergaard.
»Sie hat fünf Minuten gebraucht, um die Nachricht ausfindig zu machen und den Code zu brechen. Mehr nicht.«
»Willst du mir erzählen, dass eine Amateurkryptologin einen Code brechen kann, den die erfolgreichste
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